Im Schatten der Pineta
ruhig noch einmal, ehe Sie unterschreiben.«
Massimo tat es und bestätigte durch eifriges Kopfnicken das Gelesene, wie immer, wenn er nur Bahnhof verstand oder beim Lesen oder Zuhören in Gedanken woanders war. Dann unterschrieb er mit seiner Viertklässlerunterschrift, die er so hasste und bei der das M aus drei perfekten kleinen Bögen bestand und von oben auf die restlichen Buchstaben herabsah, die alle schnurgerade und mit pedantischer Präzision gesetzt waren und sich sauber voneinander abhoben.
»Möglicherweise brauche ich Sie noch mal, also würde ich Sie bitten, sich zur Verfügung zu halten. Könnten Sie mir Ihre Handynummer geben?«
»Nein.«
»Wie bitte?«
»Ich habe kein Handy. Wenn ich nicht zu Hause bin, erreichen Sie mich in der Bar. Wenn Sie mich an keinem der beiden Orte antreffen, bin ich unterwegs, tauche aber im Laufe des Tages bestimmt in der Bar auf. Und dort ist immer jemand, dem Sie eine Nachricht hinterlassen können.«
»Das habe ich schon gemerkt. Aber seien Sie so gut und sagen Sie Ihrem Großvater, er soll sich mit seinen geistreichen Bemerkungen ein bisschen zurückhalten, sonst verhafte ich ihn beim nächsten Mal doch noch.«
Als Massimo in die Bar zurückkehrte, wurde er mit großem Hallo von den Alten empfangen.
»Derrick erweist uns auch mal wieder die Ehre!«
»Und, wie war’s? Bist du befördert worden?«
»Ja, klar. Aldo auch. Im Gegensatz zu jemand anderem. Hab ich recht, Großvater?«
»Ich? Was hab ich denn damit zu tun?«, fragte Ampelio lächelnd.
»Was hast du eigentlich zu Fusco gesagt?«
»Das, was er verdient hat, hab ich ihm gesagt. Ich hab ihm gesagt: ›Ach, sind Sie zur Gemeindepolizei versetzt worden? Man sieht Sie in letzter Zeit ja häufiger in der Bar als da, wo Sie eigentlich hingehören.‹«
Massimo musste lachen.
»Du bist mir einer. Wie wär’s mit einer Partie Briscola? Nachher muss ich noch mal weg.«
Augenblicklich wurden die Stühle an den Tisch geschoben, die Getränke auf den Tisch gestellt, um den angestammten Platz zu markieren, und los ging’s.
Ich bin für niemanden zu erreichen. Ich habe meine Pflicht getan, sagte sich Massimo, jetzt sind endlich mal diejenigen dran, die auch dafür bezahlt werden. Und von heute an bin ich wieder Barista und nichts anderes.
Neuneinhalb
»Kurz und gut, was ich Ihnen sagen wollte, ist, dass diese Geschichte meinen Mandanten vollständig ruinieren kann. Und wenn ich vollständig sage, meine ich auch vollständig. Sowohl beruflich als auch privat. Ich denke, das brauche ich Ihnen nicht erst zu erklären. Niemand würde ihm mehr über den Weg trauen, nach … nach dem, was passiert ist.«
Und das könnte man den Leuten nicht mal verübeln, dachte Massimo. In diesem Moment fragte er sich, warum er der Einladung von Pigis Rechtsanwalt zu einem Abendessen ins Boccaccio gefolgt war.
Nicht, dass er nicht erwartet hätte, von Pigi zu hören. Nach allem, was passiert war, hätte das Ausbleiben irgendeiner Reaktion der genannten Person nur zweierlei bedeuten können:
a) Pigi wusste nicht, dass Massimo derjenige war, der die Ermittlungen in seine Richtung gelenkt hatte, und er es somit ihm zu verdanken hatte, dass er jetzt in der Patsche saß, oder
b) Pigi wollte erst einmal Ruhe bewahren, sich die nächsten Schritte genau überlegen und die neuesten Entwicklungen abwarten.
Wobei die Tatsache, in einem kleinen Ort wie Pineta zu leben, Möglichkeit a) glattweg ausschloss; auf der anderen Seite kam b) ebenfalls nicht infrage, wenn man die genannte Person auch nur flüchtig kannte.
Massimo hatte damit gerechnet, dass er auf die eine oder andere Weise von Pigi hören würde. Doch aufgrund dessen, was er von dem Typen wusste, hätte er eher erwartet, ihn mit geschwollenen Halsadern zur Bar hereinmarschieren zu sehen, in Begleitung einiger eifriger Vasallen, die so taten, als könnten sie ihn nur mit knapper Not davon abhalten, Massimo zu verprügeln. Doch da diese Möglichkeit durch Pigis Verhaftung unwahrscheinlich geworden war, hatte Massimo nicht mehr mit einer unmittelbaren Reaktion gerechnet.
Eine Reaktion indes hatte es gegeben.
Es war ungefähr drei Uhr nachmittags am Vortag, und die Bar genoss gerade ihre wohlverdiente Verschnaufpause vom üblichen Kaffeetrubel nach dem Mittagessen. Massimo saß hinter dem Tresen, die Füße in einer Wanne mit Wasser, und las ( Was vom Tage übrig blieb von Kazu Ishiguro – ein schönes Buch, das man jedoch nur bei guter Laune lesen sollte, wenn man sich
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