Im Schatten der Pineta
legte einen Bierdeckel als Lesezeichen in das Buch und schlug es zu. Währenddessen war weder drinnen noch draußen ein Laut zu hören.
»Also«, ergriff Avvocato Valenti wieder das Wort, »ich halte es für besser, wenn wir uns nicht mit langen Vorreden aufhalten, sondern sage Ihnen am besten, weswegen ich gekommen bin. Kurz und gut, mein Mandant hat mich gebeten, mich mit Ihnen zu treffen.«
»Und wozu?«, fragte Massimo, während er im Geiste wieder das gewohnte Bild einer Anzeigetafel sah, die verkündete: »Heute Abend große Begegnung zwischen dem Titelverteidiger der Schwergewichtsklasse – Piergiorgio Neri, genannt Pigi – und dem Verlierer – Massimo Viviani, genannt der Barista«, und darunter die Fotos der beiden Kontrahenten im Bademantel.
»Damit sich zwei zivilisierte Personen – ich und Sie, in diesem Fall – an einen Tisch setzen und miteinander reden, um herauszubekommen, was wirklich geschehen ist, und sich eine Strategie zu überlegen.«
»Das verstehe ich nicht. Eine Strategie wofür?«
»Um das, was wirklich geschehen ist, ans Tageslicht zu bringen. Um dafür zu sorgen, dass alles, die vielen Zufälle und falschen Schlussfolgerungen, die sich dank einer unglaublichen Koordinationsleistung in Indizien verwandelt haben und meinen Mandanten schuldig erscheinen lassen, ins rechte Licht gerückt wird. Sie wissen doch selbst nur zu gut, dass …«
»Ich weiß nur, dass ich mir offensichtlich ein neues Ladenschild zulegen muss. Das Schild mit dem Schriftzug ›Bar‹ muss ich runternehmen und es durch eines ersetzen, auf dem ›Kommissariat‹ steht« – Massimos Stimme wurde etwas lauter –, »damit die Leute endlich wieder hereinkommen, um einen Kaffee zu bestellen, statt mir mit dem Mordfall auf den Wecker zu gehen! Das nächste Mal, wenn ich eine Leiche in einem Müllcontainer finde, bekenne ich mich selbst schuldig und stell mich der Polizei, verdammt noch mal. Vielleicht kriege ich dann wenigstens mal für einen Augenblick meine Ruhe.«
»Von mir aus, aber Sie werden doch mit mir übereinkommen, dass …«
»Nein, anscheinend seid ihr alle darin übereingekommen, mich zu belästigen, zuerst, um mir eine Leiche zu zeigen, dann, um den Mörder zu fangen, und jetzt auch noch, um ihn wieder zu befreien. Guten Tag, Tiziana«, sagte er zu der jungen Frau, die gerade die Bar betrat. »Das wird mir allmählich alles ein bisschen zu viel.«
Der Rechtsanwalt antwortete nicht sofort. Er nahm einen Löffel voll Granita, führte ihn zum Mund und schien abzuwägen, ob ihm das fein gestoßene Wassereis schmeckte oder nicht. Dann sagte er, den Blick auf die Granita gerichtet: »Erlauben Sie mir eine Bemerkung?«
»Bitte schön. Wir leben in einer Demokratie.«
»Genau. Wir leben in einer Demokratie. Wir leben in einem Land, in dem alle die gleichen Rechte haben. Das schließt wiederum ein, dass wir auch Pflichten haben, denn nur indem wir diesen nachkommen, sind wir prinzipiell in der Lage, die Rechte zu gewährleisten. Habe ich mich so weit klar ausgedrückt?«
»Ja.«
»Gut. Im Leben sind die Dinge, wie sie sind, und nicht, wie man sie gern hätte. Es tut mir leid, dass Sie in einen Mordfall verwickelt wurden, mit dem Sie nichts zu schaffen haben, und dass Sie immer tiefer darin verstrickt werden, nur weil Sie gewisse Beobachtungen gemacht haben und Menschen kennen, die von der Geschichte betroffen sind. Wir sind uns einig: Sie haben keinerlei Lust mehr, noch tiefer hineingezogen zu werden. Doch durch einen unglücklichen Umstand sind Sie nun mal über den Sachverhalt informiert und zugleich auch Zeuge. Also sind Sie nicht nur in den Fall verwickelt, sondern haben auch die Pflicht, sich einzumischen. Sicher, Sie können nichts dafür; aber erlauben Sie mir die Nebenbemerkung, dass es jemanden gibt, dem noch Schlimmeres widerfahren ist. Also hören Sie auf, das Opfer zu mimen, und tun Sie Ihre Pflicht; danach können Sie sich wieder Ihrer Lektüre widmen. Es sei denn, wie Sie zuvor sagten, jemand verhaftet Sie, weil Sie irrtümlich unter Mordverdacht geraten. Etwas, was in dieser Gegend gar nicht mal so selten vorzukommen scheint.«
Der Anwalt fischte eine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie Massimo, der sie entgegennahm, betrachtete und sagte: »Machen Sie einen Vorschlag.«
»Morgen zum Abendessen?«
»In Ordnung. Ich rufe Sie an, um Ort und Uhrzeit zu verabreden. Auf Wiedersehen.«
Während der Anwalt hinausging, fragte Massimo laut und mit gespielter Gleichgültigkeit:
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