Im Schatten der Schlange
über den marmornen Boden, schlug gegen den Altar und die Säulen.
»Wir ziehen uns am besten wieder in den Turm zurück«, schlug Thonensen vor.
Dort lehnten sie bis Mitternacht an den Fenstern und starrten hinab auf die Feuer der Lorvaner. Thonensen gebrauchte ein wenig seiner Magie und der Kraft, um sie alle von ihrem nagenden Hunger zu befreien. Aber er erklärte ihnen, daß es nur eine Täuschung des Körpers sei; daß sie nicht wirklich satt waren; daß die Wirkung nachlassen würde, wonach sie den Hunger doppelt spürten.
Um Mitternacht rief plötzlich Keir, den sie als Wachtposten in der Tempelhalle zurückgelassen hatten, warnend.
Als sie nach unten schlichen, hörten sie den Tumult von draußen her – erstickte Rufe, Flüche, Schmerzensschreie, Klirren von Eisen auf Stein.
Es war ein verbissener Kampf, der vor den Tempeltoren tobte, und wenigstens eine der Stimmen erkannte Nottr augenblicklich.
»Es ist Urgat!« entfuhr es ihm.
Er stürmte zum Tor. Seine Viererschaft schloß augenblicklich auf.
Es war schwer, Freund und Feind zu unterscheiden.
»In den Tempel!« rief Nottr. »Rasch!«
»Bei allen Sommergöttern!« antwortete Urgat irgendwo in dem dunklen Knäuel kämpfender Leiber. »Sie sind aus dem Turm!«
Nottres Viererschaft, vor allem Baraggs und Lellas Äxte, brachte Verwirrung in die Angreifer. Urgats Gruppe bekam einen Atemzug lang Luft und nutzte es für einen Vorstoß zum Tempeltor. Schiere Wucht riß Lorvaner und Darainer in die Finsternis des Tempelinnern. Wie auch schon zuvor, scheuten die Darainer vor dem Tempel zurück. Die ins Innere gedrängt worden waren, machten eilig, daß sie wieder ins Freie kamen.
Ein Steinhagel folgte und trieb die Lorvaner tiefer ins Innere.
»Wir sind hier in Sicherheit«, erklärte Nottr.
»Alle da?« fragte Lella.
Keir und Baragg meldeten sich.
»Khars? Kellet? Krot?« rief Urgat.
Die Männer seiner Viererschaft antworteten.
»Arel?« fragte Urgat.
»Ja, aber ich bin allein, Hordenführer.«
»Tasman!« rief Urgat fluchend. »Drei Männer verloren! Drei, denen ich vertrauen konnte!« In seinem Grimm rief er erneut Tasmans Namen. Dann beruhigte er sich ein wenig.
»Wie bist du…?« begann Nottr.
Aber Urgat unterbrach ihn. »Kein Palaver jetzt. Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen zur Nordmauer hinab, solange meine Männer Wache stehen…«
»Aber das ist unmöglich, Bruder«, wandte Lella ein. »Sie warten da draußen auf uns. Sie sind zu viele…«
»Vielleicht hilft uns das. Nottr, streck die Hand aus. In dieser verdammten Dunkelheit sieht man die Finger nicht vor den Augen…!«
Er tastete nach Nottres Hand und gab ihm sein Schwert Seelenwind.
»In meiner Faust ist es ein ganz gewöhnliches Schwert«, sagte er. »Und von den gewöhnlichen Waffen ist mir eine Axt lieber…«
»Danke«, flüsterte Nottr. Die Klinge fühlte sich gut an in seiner Hand. »Ich habe euch vermißt… das Schwert und dich…«
»Kein Palaver«, wiederholte Urgat drängend. »Du hast einen Magier, einen Schamanen und eine Klinge voller Seelen. Und du hast ein Problem: In weniger als einer Stunde müssen wir aus der Stadt sein.«
Nottr wog die Klinge in der Hand. Er erhoffte ein Zeichen Horcans. Ein Zeichen, daß die Kraft darin nicht versiegt war und daß sie ihm gehorchen würde. Aber das Schwert blieb kalt und ohne Leben.
»Was ist mit deiner Kraft, Magier?« fragte er Thonensen.
»Ich weiß es nicht. Was möchtest du, daß ich tue? Willst du, daß ich sie mit Feuer vertreibe? Willst du, daß wir über sie hinwegfliegen? Oder daß wir unverwundbar sind? Oder daß…«
»Könntest du das alles?« fragte Nottr bewundernd.
»Vielleicht… wenn ich genug Zeit habe, es herauszufinden. Aber ich muß dich warnen, ich kenne die Auswirkungen nicht, denn die Kräfte der Finsternis sind so beschaffen, daß sie die Kräfte des Lebens und des Lichtes aufheben. Es mag auch sein, daß wir fliegen und wie Steine vom Himmel fallen, denn ich weiß nicht, wieviel ich mit dieser Kraft des Spähers vermag.« Thonensen schüttelte den Kopf. »Alles mag geschehen, nur nicht das Beabsichtigte. Daß ich die Tür des Turmes öffnete, daß es auf Anhieb gelang, verdanke ich der Tatsache, daß sie aus Stein war, denn Stein ist der einzige Stoff der Lichtwelt, der die Kräfte der Finsternis aufnimmt, sogar anzieht, ohne sich selbst zu verändern und sie damit zu verbrauchen. Stein ist sehr leicht zu lenken und zu beherrschen, deshalb sind die Statuen und Monumente der
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