Im Schatten der Schlange
stoßen mußten.
Am Morgen waren die Späher verschwunden.
»Sie werden jemanden von unserer Ankunft unterrichten«, sagte O’Braenn.
»Wen?«
Er zuckte die Schultern.
»Wir werden es früh genug wissen«, meinte Dilvoog.
In der Tat waren sie kaum eine Stunde geritten, als sie auf die ersten deutlichen Anzeichen stießen.
Dilvoog fiel die Stille als erstem auf, vielleicht weil er dem Leben tiefer verbunden war.
»Die Vögel schweigen«, sagte er.
Sie lauschten.
Aber nicht nur die Vögel waren verstummt. Kein Laut von Leben war um sie, keine Bewegung außer der des Windes.
»Hier gibt es nicht einmal Fliegen«, stellte Baragg fest.
»Selbst die Bäume sehen kahl aus…«
Sie wurden kahler mit jedem Schritt.
»Als ob wir in den Winter hineinritten«, murmelte Nottr.
O’Braenn wies seine Männer an, die Augen weit offen zu halten. Sie waren an seiner Seite schon oft mit den Kräften der Finsternis in Berührung gekommen, dennoch empfanden sie Furcht und Beklemmung. Die Pferde waren unruhig.
Bald war kein Blatt mehr an den Bäumen, selbst die Nadelbäume waren braun und verdorrt. Nicht mehr weit vor ihnen schimmerte wieder diese bleiche Helligkeit durch das Geäst, die sie auch in der Nacht gesehen hatten. Sie erweckte ein übles Gefühl von Gift und Krankheit und Tod.
O’Braenn schickte ein halbes Dutzend Kundschafter voraus, die bald zurückkehrten und Wunderliches meldeten. Vor ihnen wurde der Wald zu Stein und das Dickicht so undurchdringlich, daß ihr Weg zu Ende war. Die Kundschafter waren merklich erschöpft, als sie zurückkehrten. Ihre Pferde schnaubten und blickten mit weiten, furchtsamen Augen.
Nach einer kurzen Beratung beschlossen sie, das Hindernis genauer in Augenschein zu nehmen, um einen Durchgang zu finden. O’Braenn hielt es nicht für sehr wahrscheinlich, daß die Karawanenroute hier, zwei oder drei Tage vor Elvinon, enden sollte. Nachschub von der Insel hatte immer diesen Weg genommen. Dies war das Tor nach Ugalien.
Sie fanden die Berichte der Kundschafter bald bestätigt. Erst war es ein feiner weißer Staub, der über allem lag und alles erstickte – gemahlenem Stein gleich. Bald aber ließ das Klappern der Pferdehufe keinen Zweifel mehr daran, daß die weiße Schicht hart war. Sie bedeckte den Boden, Gräser und Büsche und umhüllte selbst mächtige Bäume wie Panzer.
Danach verlor sich dieser Eindruck immer mehr. Es lag an der allumfassenden Weiße, die zudem nicht mehr rein war, sondern grau und fleckig und schimmernd an manchen Stellen wie von Edelsteinen.
»Es ist Stein!« entfuhr es Nottr.
»Stein«, sagte Thonensen nickend. »Ihr Element. Der lebloseste Stoff des Lebens. Er zieht die Kraft an, deshalb sind ihre Altäre immer aus Stein. Ich glaube, ich beginne zu verstehen… Die Kraft vermag Stein mühelos zu durchdringen, doch für das Leben ist es eine unüberwindliche Barriere. Diese Kreise sind wie Kerker, die das Leben einschließen…«
O’Braenn unterbrach den Magier, als er sah, daß diese Worte alles andere als ermutigend auf seine Männer wirkten.
Kurz darauf standen sie in der Tat vor dieser unüberwindlichen Barriere, als Unterholz und Bäume des steinernen Waldes so dicht standen, daß weder Mann noch Pferd durchschlüpfen konnte.
O’Braenn wies einige Männer an, mit Äxten und Klingen einen Durchgang zu schlagen. Sie gaben jedoch den Versuch rasch wieder auf und hatten Glück, daß sie mit dem Leben davonkamen. Ihre Äxte vermochten zwar einige kleinere Zweige abzusplittern, doch brachten die Erschütterungen der Hiebe einen wahren Regen von Steinen, die aus den hohen Kronen der Bäume herabkamen.
Sie wichen hastig zurück, und Dilvoog schlug vor, ein Stück an dieser Barriere entlangzureiten, um ihren Verlauf zu erkunden. Doch Thonensen widersprach. Was er mit den Augen des Spähers gesehen hatte, machte solch einen Erkundungsritt überflüssig. Die Barriere verlief geradlinig in beiden Richtungen, so weit das Auge reichte, und das, so schätzte er, waren mehrere Tagesritte.
Während sie noch argumentierten, tauchte in einiger Entfernung eine seltsame Gruppe auf. Sie bestand aus einem halben Dutzend menschlicher Gestalten. Voran schritt ein gedrungener Mann, der im Gewand der Dämonenpriester eher lächerlich wirkte. Er trug den hohen knöchernen Helm, doch keine Maske. Sein rundliches Gesicht war bleich und sah verfallen aus. Die fünf, die sich um ihn scharten, sahen noch verfallener aus. Ihre Kleidung hing in Fetzen, als wären sie darin
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