Im Schatten der Tosca
jetzt nach der Schule für Pläne hat?«
Jens Arne hatte sich schon den ganzen Abend zusammengenommen, jetzt ließ er seiner schlechten Laune freien Lauf: »Pläne, was für Pläne, du hast ja gehört, herumreisen, Zeit vertrödeln, vielleicht eine Zeitlang studieren, alles auf meine Kosten. Und dann wird sie heiraten, das wollen sie doch alle, hübsch ist sie ja. Oder hat sie dir irgendwelche hehren Berufswünsche verraten?«
Elia verneinte: »Das hat sie nicht. Aber vielleicht hat sie gehofft, dass du sie fragst.«
»Wieso denn, ich kenne sie ja kaum«, sagte Jens Arne gereizt.
Elia kannte den Ton inzwischen, meistens artete er aus in endlose Rechthaberei. Sie schaute rasch auf die Uhr und tat erstaunt: »Oje, schon so spät. Meinst du nicht, wir sollten schlafen gehen, Darling?« Diese zuckersüße Anrede hatte sie von Jens Arne übernommen, mit ihr ließ sich vieles verbrämen.
Von Wien aus machte sich Elia auf nach Barcelona. Carlos hatte sich inzwischen vom beleidigten Exliebhaber zu einem guten Freund gemausert. Sie trafen sich auch wieder außerhalb der Oper, sie gingen zusammen essen, bummelten durchdie Stadt, er zeigte ihr die schicksten Bars, und da in Barcelona viel getanzt wurde, wagten auch sie hin und wieder ein Tänzchen.
Das alles konnte diesmal nicht stattfinden, denn Carlos hatte seit Kurzem eine neue Geliebte. Carmen hieß sie und schien genauso temperamentvoll wie ihre Namensschwester, vor allem rasend eifersüchtig, insbesondere auf Carlos’ Vergangenheit und am allermeisten auf Elia. Darum gestand Carlos Elia gleich bei der ersten Probe, halb verlegen, halb stolz: »Mir ist das schrecklich, wirklich, aber wir können uns diesmal nicht sehen. Carmen lässt mich überhaupt nur mit dir singen, weil ich ihr geschworen habe, dich sonst nicht zu treffen.«
Elia war entgeistert, sogar richtig wütend. Was sollte sie jetzt machen, alleine in dieser quirligen Stadt? In Spanien, noch weniger als irgendwo sonst in Europa, bedeutete es kein Vergnügen, als einsame Dame auszugehen, das schickte sich einfach nicht. Außer Carlos, das merkte sie jetzt, besaß sie hier keine eigenen Freunde. Freundschaften zu schließen und sie zu pflegen und zu erhalten, war gar nicht so einfach in diesem unsteten Sängerberuf. Dabei konnte sich Elia nicht beklagen, allein schon von Mariana hatte sie wunderbare Freunde übernommen, Birgit und Erna und auch Julia und Karl. Oder Massimo. Sie selbst hatte gleich als kleine Anfängerin viele gute Freunde gewonnen, Martina und Sylvia, Fulvio, Ture, auch Enrico Tarlazzi und Giancarlo gehörten dazu, und auch Carlos und Ferdinand. Aber damals war sie ein völlig unbeschriebenes Blatt. Wahrscheinlich verlor man diese Unbefangenheit, je älter man wurde, zumal wenn man inzwischen als Star galt. Das schreckte gerade die Netten oft ab. Vielleicht war es auch nicht gut, wenn man die meiste Zeit mit einem bestimmten Mann in der Weltgeschichte herumzog. Bei Carlos hatte sie sich immer auf dessen Kontaktfreudigkeit verlassen und sie oft sogar verflucht. Jens Arne scharte seine eigenen Anhänger um sich und vergraulte Elias Freunde, aber das war ein Kapitel für sich.
In England sprang es am meisten ins Auge, überlegte Elia, da besaß sie eine einzige Freundin, Nora Petersson, die sie noch von Stockholm her kannte. Aber seit der Heirat mit ihrem Earl verkehrte sie fast nur noch mit adeligen Gutsbesitzern und Jagdgenossen. Nein, in England hatte Elia keine wirklichen Freunde, wenn man darunter Menschen verstand, bei denen man sich auch einmal ausweinen konnte und die getreulich zu einem hielten. Dafür hatte sie durch Jens Arne eine Reihe Bekannter gewonnen, zum Teil ganz liebe, nette Leute. Nur wäre es Elia nie eingefallen, ein persönliches Wort mit ihnen zu wechseln, allein schon, weil den Engländern vor intimen Gesprächen zu grausen schien, warum sonst machten sie ständig Witzchen, sprachen so viel über ihre Haustiere und Angestellten oder das Wetter? Durch den unerwarteten Ausfall von Carlos kam Elia zum ersten Mal auf solche Gedanken. So viel stand jedenfalls fest: Hier in Barcelona gab es niemand, den sie jetzt einfach anrufen konnte oder wollte.
Immerhin gab es die anderen Sänger, und innerhalb des Opernhauses durfte sie auch mit Carlos in aller Seelenruhe zusammenhocken. Seit längerer Zeit standen sie wieder im ›Don Carlos‹ zusammen auf der Bühne, und so schwelgten sie in Erinnerungen. Besonders an das erste Mal in Bologna dachten sie beide mit Rührung.
Als
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