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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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an Deck eingerichtet hatte, war und blieb ihr Körper verspannt, der Nacken schmerzte, und in ihrem Kopf rumorten die Gedanken. Immer schwärzer wurden sie, immer verzagter: Sie war allein, und der Stuhl neben ihr warleer. Keine freundliche Hand fasste nach der ihren. Jetzt nicht, morgen nicht, nie. Nicht die Hand ihres Mannes. Keine Kinderhand. Eine verzweifelte Sehnsucht quoll in ihr hoch, ein heißer Tränenkloß wucherte in ihrer Kehle. Ihre arme Kehle, verdammt zum Singen, unter der Knute eines erbarmungslosen Zirkusdirektors.
    Jens Arne! Schutz und Geborgenheit, ein Nest, eine Familie. »Ein Kind, ja, ich versteh dich, wahrhaftig, aber ich fürchte, ich bin zu alt«, so hatte er zu ihr gesagt, und, anders als Carlos, verständnisvoll getan. Aber es lief aufs Gleiche hinaus: Auch Jens Arne wollte kein Kind. Wozu auch, schon die Kinder, die er hatte, waren ihm lästig. Und jetzt wich er ihr aus, weil er instinktiv spürte, dass sie auf dieser Reise noch einmal in aller Ruhe mit ihm überlegen wollte, was ein Kind für sie beide bedeuten würde
    Elia schleuderte die flauschige Decke von sich, die sie heute beengte, schluchzend stürmte sie über Deck, ihre Fäuste krallten sich an der Reling fest, vielleicht war es wirklich am besten, sie sprang gleich hinunter ins dunkle Meer!
    Drunten, in ihrer fabelhaften Luxuskabine, schnarchte Jens Arne in seinem Bett, umnebelt von ungewohnt reichlichem Alkoholgenuss. Im Spiegel sah Elia ihr verheultes Gesicht, bis auf ihr schneeweißes Kleid war die Wimperntusche getropft. Sie wühlte sich in ihr Bett, neben ihr schnaufte und röchelte es. Allein war sie nicht mehr, nur einsam, so einsam.

    Gleich nach ihrer Rückkehr ins nasskalte London erkältete sich Elia, Husten, Schnupfen, erhöhte Temperatur, Halsweh, was immer man zum Singen nicht brauchen konnte. Die Proben zu ›Macbeth‹ begannen ohne sie, einige Male schleppte sie sich ins Opernhaus, eingemummelt wie für eine Polarfahrt, mit triefender Nase. Nach ein paar Tagen war sie wirklich krank, kein Inhalieren half mehr, keine heißen Bäder, kein Aspirin. Das Fieber schnellte hoch, der Arzt verabreichte Antibiotika. Jens Arne schaute von der Türschwelle nach ihr, besorgt,sich nicht anzustecken: »Werde bloß bald wieder gesund, Keith lässt schon grüßen, er hat sich für die Lady allerhand Spannendes ausgedacht.«
    Ja, natürlich, das Arbeitstier durfte nicht lange ausfallen, es hatte brav seine Runden zu drehen, so wie seit Jahr und Tag. Immerhin brachte das Dienstmädchen kurz darauf eine Vase mit prächtigen Rosen ins Zimmer.
    Die starken Arzneimittel wirkten, das Fieber sank nach ein paar Tagen, nur der Husten hatte sich häuslich eingerichtet, und so riet der Arzt dringend davon ab, sich zu früh wieder aus dem Haus oder gar auf die Proben zu wagen. Ach, der Gute, irgendwie würde es schon gehen, es musste ganz einfach. Bei der Lady Macbeth handelte es sich um eine der schwierigsten Rollen, da konnte Elia nicht im letzten Augenblick bei den Proben dazustoßen.
    Es wurde eine echte Tour de force, Elia fühlte sich hundeelend und bekam aus Schwäche kalte Schweißausbrüche. Aber das Schlimmste waren ihre Kurzatmigkeit und der lauernde Hustenreiz. Nur dank ihrer grundsoliden Technik brachte sie das Kunststück fertig, mit einem solchen Handicap singen zu können. Zum Glück hatte Verdi ausdrücklich für diese Rolle das Gegenteil von Schöngesang gefordert, daran musste Elia sich halten, mehr als ihr lieb war. Jens Arne schien davon nichts zu bemerken.
    Immerhin führte die verzweifelte Methode zum Erfolg, das Publikum reagierte erschüttert auf Elias Gestaltungskraft, ihre Lady schien eine Blutsverwandte der rasenden Medea, der zerrissenen Norma. Die Presse schrieb, Elia habe wieder einmal Maßstäbe gesetzt, besonders in der gespenstisch schauerlichen Schlafwandlerszene. Ob ein solcher Einsatz auf Kosten von Elias Stimme ging, würde die Zukunft zeigen. Zunächst blieb eine Bronchitis, die Elia den ganzen Winter über begleitete. Und eine bis dahin ungewohnte Anfälligkeit für Erkältungen, auch während der wärmeren Jahreszeiten.
    Gleich nach ›Macbeth‹ flog Elia nach Mailand für einigeVorstellungen ›Butterfly‹ unter Marcello Rainardi. Er sah sie kurz an: »Oh, haben Sie eine Hungerkur hinter sich?« Elia schüttelte den Kopf: »Nein, eine Grippe«, worauf er beruhigt war: »Dann ist’s ja gut, tonnenschwere Sängerinnen müssen nicht sein, aber zaundürre auch nicht, etwas Speck auf den Rippen hat

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