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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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der Chauffeur sie in London wie gewohnt vom Flughafen abholte, wurde Elia ganz heimelig ums Herz. Und als er auch noch sein übliches Sprüchlein hersagte: »Der Maestro lässt sich entschuldigen, er hat noch Probe«, unterbrach ihn Elia wohlgelaunt: »Gut, und er wird beim Abendessen anwesend sein.« Ja, hier war sie zu Hause, also doch. Auch die Wohnung wirkte nicht mehr ganz so abweisend wie sonst, und in ihrem eigenen Bereich sorgten die freundlichen Vorhänge und die helle Tapete, die sie inzwischen angeschafft hatte, für eine wohnliche Stimmung. Vergnügt packte Elia ihre Koffer aus, dann zog sie zum ersten Mal seit langer Zeit ihr altes grünes Lieblingskleid an, keines von den feinen neuen. Sie ginghinüber ins Speisezimmer, zugleich mit ihr trat Jens Arne durch eine andere Tür herein. Elia wollte auf ihn zugehen, da sagte er in leicht ironischem Ton: »Oh, so schlicht heute, eigentlich war ich neugierig auf eine der neuen Pariser Kreationen. Aber vielleicht bedürfen die eines feierlicheren Anlasses, als es ein Wiedersehen mit dem Ehemann ist.«
    Ja, Elia war wirklich wieder zu Hause angelangt. Wie eine Schnecke, die gerade einmal kess ihre Fühler ausgestreckt und gleich einen Stups darauf bekommen hatte, zog sich Elia in ihr Schneckenhaus zurück. Unter nichtssagendem Geplauder über die Begebenheiten der letzten Wochen verzehrten sie ihr Essen. Jens Arne wirkte abgespannt und schien nur mit einem halben Ohr zuzuhören. Doch plötzlich straffte er sich und fragte mit listigem Blick: »Und dein schöner Carlos? Kein Kniefall diesmal
coram publico
? Zumindest scheint es kein Foto davon zu geben.« Ah, das wusste er also auch – und hatte nie einen Ton darüber verloren.
    Die Frage hatte dem lahmen Gespräch Aufwind gegeben. Doch plötzlich fröstelte Elia, sie vergaß immer wieder, dass sie in diesem Land offenbar der einzige Mensch war, der fror. »Vielleicht könnte man die Heizung etwas höher drehen, Darling«, sagte sie mitten in das ganz munter dahinplätschernde Gespräch hinein. Aber die Heizung war schon auf die höchste Stufe gestellt, wie der Diener herausfand.
    »Ich muss morgen früh aufstehen«, sagte Jens Arne gleich nach dem Essen und wartete, bis Elia vom Tisch aufstand. Zusammen gingen sie den Gang entlang, vor Elias Tür verabschiedeten sie sich mit einem Gutenachtkuss. Wie zwei Hotelgäste, die miteinander zu Abend gespeist hatten. Mit dem Unterschied, dass bei denen nicht selten hinter geschlossener Tür eine Fortsetzung stattfand.
    In den folgenden Wochen musste sich Elia voll auf ihre Arbeit konzentrieren, sie sang ihre Londoner Partien, allein ›Macbeth‹ stand dreimal auf dem Programm. Da reduzierte sich das Privatleben auf das Überlebensnotwendige, und umder Stimme willen war möglichst viel Schweigen angesagt. Eine anstrengende, straff geregelte Zeit, fast so etwas wie ein Exerzitium, wo das Überflüssige, Kleinliche verblasste und das Eigentliche hervortrat.
    Jens Arne erging es nicht anders. Wenn der Chauffeur ihn und Elia zur Oper kutschierte, baute sich in dem lautlos dahingleitenden Rolls-Royce schon eine knisternde, nervöse Spannung auf, die auch zu Anfang der Rückfahrt noch als massive Energie spürbar war, dann jedoch mehr und mehr abebbte, bis am Ende der Fahrt nur noch zwei erschlaffte Gestalten in den Polstern des Fonds hingen. So etwas verband zwar, aber Jens Arne und Elia spielten nicht um den gleichen Einsatz. Er peitschte beim Dirigieren, befeuert durch Elias Kühnheit, seine mit den Jahren doch ermattenden Kräfte und Säfte an, sie aber jagte mit der vehementen Energie der Jugend ihren inneren Motor auf Hochtouren.
    Manche Kritiker benutzten bei Elia mit schaudernder Anerkennung das Bild der an beiden Enden brennenden Kerze. Doch das wirkte fast zu idyllisch angesichts der schonungslosen Art, mit der sie ihren Leib und ihre Seele einsetzte. Immer häufiger ließ sich Elia durch die tobenden Leidenschaften ihrer unglückseligen Heldinnen, und sogar wider besseres Wissen, gefährlich weit mitreißen. Aber noch schlimmer war es, dass Jens Arne sie nicht zurückhielt, er, der erfahrene Dirigent. Häufig fachte er den Sturm noch an, statt ihn abzudämpfen. Und noch immer vertraute Elia ihm bedingungslos.

    Ein Glück für sie, dass sie auch unter anderen Dirigenten sang wie nun an der Met unter Georges Goldberg die Leonore im ›Fidelio‹. Diese Partie sang Elia zum ersten Mal, und es hatte Jens Arne gewurmt, dass er nicht selbst auf diese Idee gekommen war.

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