Im Schatten der Tosca
immer noch verwirrte. Dafür hatte sie sich an Jens Arnes Gespensterschloss gewöhnt und fand es schade, gleich nach der letzten Vorstellung nach Neapel fahren zu müssen. Das hätte sie auch nicht gedacht, dass ihr das einmal leidtun würde. Aber im nächsten Jahr würde der ›Don Carlos‹ wiederholt werden, und so beschloss sie, dann auf alle Fälle ein paar Ferientage anzuhängen.
In Neapel war Elia dann doch glücklich. Endlich wieder heimischen Boden unter den Füßen – und nichts anderes mehrum sich herum als Italienisch. Ach tat das gut, welche Erleichterung, sich einmal nicht in einer fremden Sprache abmühen zu müssen. Und wie beruhigend, wenn zwei Gesprächspartner sich wenigstens von der Sprache her ganz und gar verstanden. Wer weiß, ob nicht manche Unstimmigkeiten zwischen ihr und Jens Arne durch sprachliche Missverständnisse entstanden. Womöglich klang vieles rüder, als es gemeint war, oder der andere erfasste bestimmte Nuancen nicht. Jens Arne und sie sprachen miteinander Italienisch, versetzt mit englischen Brocken, wobei sein Italienisch ungleich besser war als ihr Englisch. Aber für die Zwischentöne fehlte ihm doch das Gespür, und wo sie noch lustvoll umkreisen wollte, steuerte er bereits schnurgerade das Ziel an, und das grämte dann beide.
Vielleicht formte eine Sprache die Denkungsart? Aber wie stand es dann um Jens Arne, seine Muttersprache war doch Schwedisch? Die Gedankengänge der Schweden, von einigen Ausnahmen abgesehen, hatte Elia nie ganz nachvollziehen können, da war ein merkwürdiger Hang zum Unfrohen, Düsteren, Schweren. Und je komplizierter, desto wertvoller, das kam noch dazu. Wer nicht ständig im Trüben herumstochern mochte, galt schnell als oberflächlicher Dummkopf. Ein weites Feld.
In Neapel schien die Sonne, ganz wie es sich gehörte, und wenn die Leute beim Arbeiten die Lust dazu ankam, dann sangen sie. Elia durfte im ›Barbier von Sevilla‹ als muntere Rosina brillieren. Es war eine Übernahme aus Rom, Elia und Giancarlo fanden mühelos zu der alten Beschwingtheit zurück. Das Publikum hier reagierte noch dankbarer als die manchmal etwas blasierten Römer, und so gab Elia ihrem Affen Zucker, dann jubelte das ganze Haus. Das gleiche Haus, das erst neulich eine andere Vorstellung wütend ausgebuht hatte. Bei falschen Tönen und trägen Sängern hörte der Spaß rasch auf, zudem konnte man hier verdammt ungerecht sein. Aber Elia liebten die Neapolitaner, für sie war sie eine der Ihren.
Laura kam zur letzten Vorstellung und fuhr Elia am nächstenMorgen nach Hause. Tante Ambrosia hatte die »Villa Capretta« auf Hochglanz herausgeputzt, die Fenster funkelten, die Vorhänge erstrahlten in Weiß, und die Spinnen waren in den Garten hinausbefördert worden. Mein Gott, warum komme ich nicht öfter her?, dachte Elia.
Unter der Pergola war der Tisch gedeckt, Tante Ambrosia wurde ganz unruhig: »Wo stecken sie denn? Die müssten längst da sein.«
Schließlich hörte man ein Motorengeräusch, es war Robertos uraltes Auto, das hier immer noch brav seinen Dienst versah. Teresa und Alina stiegen aus, sie hoben einen Korb heraus, in dem Fiamma wie ein Häufchen Elend lag. Bei Elias Anblick rappelte sie sich hoch, sie winselte und bellte vor Freude. Elia stürzte zu ihr hin, Fiamma war inzwischen wieder umgefallen. Sie trug am Bauch einen dicken Verband und am Hals eine Art Krause aus einem alten Lampenschirm, damit sie sich den Verband nicht abbiss. Elia war außer sich, aber die Mutter und die Großmutter machten glückliche Gesichter: »Wir haben es ja gesagt, wenn sie dich sieht, dann erholt sie sich.«
Fiamma war zwei Tage zuvor an einem Knoten im Bauch operiert worden und seitdem nicht mehr auf die Füße gekommen. Jetzt fraß sie zum ersten Mal wieder und schlappte in Windeseile eine Schüssel Wasser leer. Dann legte sie sich neben Elias Stuhl und schlief zufrieden ein. Weil sie zu Hause am besten aufgehoben war, wurde beschlossen, dass es vernünftiger sei, sie wieder mitzunehmen, Elia konnte sie ja besuchen.
Und so kam es, dass Elia die meiste Zeit im Häuschen der Großeltern verbrachte, in dem die Mutter nun schon seit Jahren wohnte. Elia fütterte die Hühner und die beiden uralten Kaninchen, sie schaute nach der Ziege mit ihren beiden Zicklein. Sie streifte in der Gegend umher und versuchte auf ihren alten Baum zu klettern, aber irgendwie kam sie nicht mehr hoch, wahrscheinlich fehlte ein Ast.
Es erschien auch Besuch, darunter Padre Ironimo, der
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