Im Schatten der Tosca
inzwischen die Pfarrei in Rom aufgegeben hatte und in seinem Heimatdorf, im Haus seiner Schwester, den Ruhestand genoss. Seitdem hatte er schon allerhand auf die Beine gestellt, so war dank einer Spendenaktion, zu der auch Elia ihr Scherflein beigesteuert hatte, die altersschwache Orgel renoviert worden, und der Chor konnte sich inzwischen hören lassen, auch Teresa sang wieder mit.
Fiamma hatte sich so weit erholt, dass sie mit Elia kleine Spaziergänge machen konnte. Jetzt rollte sie sich auf ihrem Kissen zusammen. Elia setzte sich neben sie, streichelte sie und steckte ihr bröckchenweise eine Mozartkugel ins Maul, die sie aus Wien mitgebracht hatte. Fiamma leckte ganz zart Elias Hand, schaute hoch zu ihren beiden Frauen, dann schloss sie die Augen. Ein ganz kleines Zittern ging durch ihren Körper, so etwas wie ein winziger Seufzer, dann streckte sie alle vier Beine steif aus. Fiammas Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Es war gut, dass Alina nicht ganz die Nerven verlor. Sie rief Padre Ironimo an, der rasch kam. Und so, als sei es selbstverständlich, hielt er im Geiste des heiligen Franziskus für Fiamma eine kleine Totenmesse. Zusammen schaufelten sie ein Grab. »Fiamma war ein liebenswertes Geschöpf Gottes, und er hat ihr ein glückliches, langes Leben geschenkt und einen raschen, friedlichen Tod. Daran sollten wir auch denken, wenn wir jetzt um sie weinen«, versuchte Padre Ironimo zu trösten. Am Abend hatte Elia Angst, allein zu sein, sie kroch zu ihrer Mutter ins Bett, und sie weinten sich zusammen in den Schlaf.
Der Abschied fiel Elia noch schwerer als sonst. Am letzten Abend ging sie durch Tante Ambrosias Zaubergarten, hier, auf dieser Bank, hatten Carlos und sie sich geküsst, und am nächsten Morgen waren sie nach Ravello gefahren. Und dort stand der große Tonkrug mit Jonas und dem Walfisch, den sie zusammen ausgesucht hatten, lachend, glücklich und jung. Vorbei, vorbei auch das. Jetzt, mit Fiammas Tod, war die Zeit ihrer Jugend endgültig abgeschlossen, so empfand sie es.
Eine Bangigkeit überkam Elia, so trist und trüb wie klamme Nebelschwaden. Im Garten schwiegen die Grillen, und die Blumen dufteten nicht mehr. In der Ferne leuchteten Blitze am Himmel.
Für die Eröffnungspremiere der Londoner Spielzeit war der ›Nabucco‹ angesetzt. Schon beim Einstudieren hatte Elia über ihre Partie gestöhnt, die mit lebensgefährlichen Stellen gespickt war, eine riskante Bergbesteigung. Bei ähnlichen Zitterpartien hatte sie sich bisher stets auf ein hilfreiches Seil verlassen können, auch wenn die Suche danach manchmal mühsam und schmerzlich gewesen war, so wie bei der ›Medea‹. Jetzt bei der Abigaille beschlichen Elia immer wieder Zweifel, ob ihre Ausrüstung wirklich bergfest sein würde. Das Seil, das sie diesmal schützen sollte, hatte sie sich eher vom Verstand her zusammengeknüpft, die Motive für Abigailles Herrschsucht, ihre Grausamkeit und Rachgier blieben ihr im tiefsten Herzensgrunde fremd. Dass diese harte, stolze Frau ganz zum Schluss doch noch zu Kreuze kroch, ihrem alten Glauben abschwor und die gerade noch verhasste Schwester um Vergebung anflehte, das verwirrte Elia mehr, als dass es ihr die Figur nähergebracht hätte.
Sie hatte auf die Proben gehofft, doch von dorther erhielt sie wenig Unterstützung. Nach dem Willen des Regisseurs, eines deutschen jungen Wundermannes, sollte die unselige Heldin vollends zur Furie werden, und das Bühnenbild besaß die Atmosphäre eines gigantischen Atombunkers, der am Ende in so gewaltigen Quadern zusammenstürzte, dass die Sänger um ihr Leben fürchteten. Jens Arne gefiel das, er fand es modern! Er klinkte sich ein in das wüste Treiben und ließ Elia wie einen dressierten Zirkuslöwen durch feurige Reifen springen. Als sie einmal zögerte, weil sie keinen Sinn dahinter erkennen konnte, knallte er mit der Peitsche: »Los, mach schon, stell dich nicht so an! Oder kannst du es nicht?«
Nicht nur Elia, auch die anderen Sänger zuckten zusammen.Elia wurde blass, mit zusammengepressten Lippen starrte sie zu Boden, als habe sich gerade ein Spalt vor ihr aufgetan und etwas Kostbares verschlungen. Von zu Hause kannte sie inzwischen diesen Ton, schneidend, spöttisch, sarkastisch, wenn auch sehr viel leiser, gewissermaßen auf Zimmerlautstärke gedimmt, denn zum Lautwerden ließ sich Jens Arne nicht hinreißen. Bei der Arbeit hatte sich Elia immer voll und ganz auf Jens Arnes korrekte Sachlichkeit verlassen. Und jetzt?
Zwar kam aus dem
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