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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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Orchestergraben eine Art Entschuldigung: »Sorry, komm, sei keine Mimose, du schaffst das schon.« Und auch bei den übrigen Proben vergriff sich Jens Arne nicht mehr im Ton. Doch Elia blieb auf der Hut. Sie versuchte nicht länger, der Abigaille echtes Leben einzuhauchen, sondern tat, was man von ihr verlangte. Als versierte Kletterkünstlerin brachte sie auch diese Extremtour heil hinter sich. Aber Spaß hatte sie ihr nicht gemacht.
    Zudem hatte sie sich erkältet. Noch ehe der Winter überhaupt anfing, ging es schon wieder los mit Inhalieren, Gurgeln, Kräuterteetrinken. Mrs MacNeill, die Haushälterin, kam aus dem schottischen Hochland und kannte sich mit Heilkräutern aus. Abends steckte sie Elia eine heiße Bettflasche mit einem gehäkelten Überzug ins Bett. Sie rieb ihr den Rücken ein mit einem selbstgebrauten Elixier, das zuerst auf der Haut brannte, aber dann wohlige Wärme verbreitete.
    Jens Arne hatte sich zu Anfang noch Sorgen gemacht, einfach aus eigenem Interesse. Doch solange Elia singen konnte, gingen ihn ihre Malaisen nichts an, und da sie noch nie im Leben eine Vorstellung hatte ausfallen lassen, war alles in Ordnung. Schließlich hatte jeder seine Probleme, ihm tat der Rücken weh, das Dirigieren hatte seine Bandscheiben abgenutzt, wenn das so weiterging, musste er sich womöglich irgendwann operieren lassen.
    Im kommenden Jahr würde er siebzig werden! Das machte ihm enorm zu schaffen. Bisher hatte er sich immer noch zuden jüngeren Leuten gezählt, er war tatkräftig und aktiv wie ein Junger. Auch sein Körper sah drahtig und schlank aus, darauf war er immer stolz gewesen. Meine Güte, was schleppten andere Männer in seinem Alter für Bäuche mit sich herum und sahen nichts mehr und hantierten mit ihren Hörgeräten, während er noch sah und hörte wie ein Luchs. So hatte er sich bisher über das Alter kaum den Kopf zerbrochen. Allenfalls hatte er angefangen, damit zu kokettieren – um sich manches mit dem Hinweis auf sein »hohes Alter« vom Leibe zu halten. Und nun diese Sieben! Mit siebzig gehörte man eigentlich zum alten Eisen, wobei er einräumen musste, dass gerade Dirigenten häufig bis ins hohe Alter arbeiteten. Aber sollte ihn das jetzt trösten?
    Altwerden war einfach eine Kränkung und der siebzigste Geburtstag eine Zumutung. Er konnte sich all die Ehrungen vorstellen, die ihm zuteilwerden würden, Festreden, ein Orden und Ehrendoktorhüte. Inzwischen hatte er vom königlichen Hofamt den Bescheid erhalten, dass ihn die Königin zum Knight of the Britisch Empire schlagen wollte. Eine größere Ehrung gab es kaum, aber selbst sie geriet ihm zum Ärgernis. Da er immer noch einen schwedischen Pass besaß, durfte er sich zwar hinter seinen Namen Hon. K. B. E. drucken lassen, aber ein »Sir« stand ihm trotzdem nicht zu. Sir Jens Arne, das hätte ihm gefallen, gerade in einem gesellschaftlich derart versnobten Land. Sollte er nun um die britische Staatsangehörigkeit nachsuchen – und sich damit vor aller Welt zum Gespött machen? Nein, diesen Gefallen würde er niemand tun. Und so schien ihm auch dieser Ritterschlag, zusammen mit all seinen sonstigen Titeln und Ehrenposten, nur darauf hinzuweisen, dass er schon lange nicht mehr jung war.
    Siebzig! Je länger Jens Arne darüber nachdachte, desto unleidlicher wurde er. Darüber lösten sich auch seine sommerlichen guten Vorsätze Elia gegenüber immer mehr auf. Er brachte es nicht fertig, mit ihr über seine Altersverdrossenheit zu sprechen, sie hätte ihn doch nicht verstanden oder sicham Ende ihrerseits darüber Gedanken gemacht, was für einen uralten Mann sie doch hatte. Die Nörgelei fing wieder an, die Rechthaberei, neuerdings angereichert mit vorwurfsvollem Gejammer.
    Doch es kam noch schlimmer: Für den Winter war eine Übernahme des Glyndebourner ›Figaro‹ in London geplant, und plötzlich hatte Jens Arne alles Mögliche an Elias Gräfin auszusetzen. In Glyndebourne hatte er die verängstigte, schwerblütige, verzweifelte Seite forciert, genau da begann er nun herumzukritteln: »Um Gottes willen, du singst Mozart, nicht so dick, nicht so heftig!« Auf Elias erstaunte Einwände, er hätte es seinerzeit so haben wollen, ging er nicht ein, im Gegenteil, je mehr er merkte, dass er im Unrecht war, desto unangenehmer wurde er: »Ach was, so ein Unsinn, du hast dir inzwischen eine effekthascherische Masche zugelegt, und die wirst du jetzt nicht los.« Am absonderlichsten mochte dabei sein, dass Norbert Grainau immer noch völlig

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