Im Schatten der Tosca
Aussteuer?«
Manchmal mieteten sie sich auch ein Boot samt einem uralten Fischer. Der konnte ihnen bestimmt nicht gefährlich werden. Aber siehe da, der klapprige Greis hatte enormen Charme, aus seinen strahlend blauen Augen schaute er verschmitztdie jungen Frauen an, und während er sie über die strahlend blauen Wogen ruderte, sang er ihnen mit samtener Stimme neapolitanische Lieder vor, die sie mitträllerten, ohne ein Wort zu verstehen. Zu zweit, so entdeckten die Freundinnen vergnügt, konnte man sich auch in einer südländischen Stadt als Frau wunderbar amüsieren.
Mariana und Astrid waren Genießerinnen. Aber auch Arbeitstiere. Ständig wollten sie noch etwas ausprobieren, verbessern. Schließlich musste sogar Marcello sie bremsen. »Gut, gut, zwei Schwedinnen in der ›Aida‹, ich weiß schon, die Neapolitaner fressen uns, wenn das nicht hundertprozentig hinhaut. Aber wenn wir uns selbst umbringen, bevor es überhaupt richtig losgeht, hat es auch keinen Sinn.«
Astrid hatte die Aida schon gesungen. Für Mariana war die Amneris neu. Sie versuchte, die menschliche Seite der Figur hervorzuheben. Das war keine schnöde, kalte Person, auch sie liebte hingebungsvoll, die Zurückweisung durch Radames – auch noch wegen einer Sklavin – musste dieser schönen, stolzen Königstochter als absolut unerträgliche Kränkung erscheinen. Am Ende, wenn der Geliebte eingemauert wurde, verzweifelte sie. Ihr hoher Stand, ihre Macht, aber auch ihre Liebe hatten ihr nicht geholfen. Eigentlich, so fand Mariana, war das Schicksal der Amneris spannender und auch tragischer als das der Aida, der immerhin der Liebestod vergönnt war.
Dann, eines Tages, aus heiterem Himmel, mitten in die schwungvollen Proben hinein, bekam Astrid abscheuliches Halsweh. Gegen Nachmittag brachte sie kaum mehr einen Ton heraus. Der Arzt schüttelte besorgt den Kopf. Möglicherweise war es nur eine Erkältung, aber etwas Ernsteres mochte er auch nicht ausschließen, er traute sich in einem so heiklen Fall keine Entscheidung zu. Es kam hier nur ein einziger Mensch in Frage: Professor Bernini, der größte Kehlenspezialist landauf, landab, noch aus New York und Buenos Aires flehte man ihn um Rat an. Nur leider lebte der Professor inRom. Nach umständlichen Telefonaten stand fest, dass er nicht nach Neapel kommen konnte: Für den nächsten Morgen hatte er eine Reihe unaufschiebbarer Operationen anberaumt. Deshalb riet er dringend, die Patientin so schnell wie möglich nach Rom zu bringen, noch diesen Abend, er würde auf sie warten und gleich mit der Behandlung beginnen. »Ich gehe mit«, sagte Mariana. »Niemand kennt Astrid so gut wie ich. Da sie nicht selbst sprechen kann, werde ich halt diesem Wundermenschen verklickern, wie sie so lebt und was wir in der letzten Zeit getrieben haben.«
Astrid wurde im Fond der Direktionslimousine in Decken gehüllt wie eine kostbare chinesische Vase aus der Ming-Zeit, Mariana setzte sich neben den Chauffeur. Gegen 21 Uhr trafen sie in der Praxis von Professor Bernini ein, der die Damen in einem hübschen Salon empfing, heiter und entspannt, als kämen sie auf einen kleinen Abendbesuch. Kein Stirnrunzeln, kein Wort der Sorge, keine Eile. »Darf ich Ihnen etwas anbieten, ein Gläschen Champagner, Tee, einen Kräuterlikör aus den Albaner Bergen?« Mariana verspürte dankbar, wie sich ihre Angst legte, die jeden Sänger befällt, sobald seiner kostbaren Stimme Gefahr droht. Sie schaute hinüber zu Astrid, sie wirkte schon nicht mehr so verkrampft und verängstigt wie beim Betreten der Praxis. »Gut, dann will ich mir das mal ansehen«, sagte Professor Bernini in diesem Augenblick, als fiele ihm das so nebenbei ein. »Kommen Sie doch mit«, wandte er sich an Mariana, als sie zögerte.
Während er sich die kranke Gurgel besah, stellte er ein paar harmlose Fragen. Mariana antwortete, sie dolmetschte gewissermaßen, aber auch Astrid versuchte etwas zu sagen, sie rollte die Augen, sie fuchtelte mit den Händen, doch außer einem unverständlichen Gegurgel brachte sie nichts heraus, schon weil ihr der Professor mit einem Spachtel die Zunge niederdrückte. Schließlich mussten alle drei lachen.
»Wunderbar«, sagte er sachlich, »Sie haben keine Knötchen. Und auch sonst nichts Schlimmes. Nicht der kleinste Grundzur Aufregung. Ich schicke Sie nur schnurstracks ins Bett. Im Hotel verpasst Ihnen die Krankenschwester noch einen feinen Halswickel und ausnahmsweise ein Schlafmittel. Ruhe, Ruhe, und nochmals Ruhe – und
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