Im Schatten der Tosca
Anfang an versucht, bei ihren Besuchen nicht ständig am Rockzipfel der Tochter zu hängen, sondern auch alleine oder mit ihren neuen Bekannten und Freunden etwas zu unternehmen. Und schon darum zögerte sie, als ihr Mariana von Pietro erzählte. Aber die beschwor sie: »Ich habe für dich und mich vor einem Jahr ein Haus gemietet, da ist Platz für eine ganze Familie, jeder kann tun und lassen, was er will. Das wäre ja furchtbar, wenn du nicht mehr kämest, bloß weil ich verlobt bin. Zudem gehörst du längst zum Tross, wir brauchen dich alle, du bist hier einer der wenigen Menschen, der nicht ständig mit sich selbst beschäftigt ist, du würdest uns fehlen.« Das stimmte tatsächlich. Aber erst als Birgit ihren künftigen Schwiegersohn kennenlernte, war sie vollends beruhigt: »Ja wirklich, der ist der richtige Mann für dich und das verrückte Leben, das du führst. Der kommt auch noch mit einer Schwiegermutterzurecht.« Und Pietro? Wie alle Italiener verehrte er »la mamma«. Für ihn schien es selbstverständlich, dass sich Mariana nach dem Tod des Vaters um die Mutter kümmerte.
Ein paarmal besuchte Mariana Pietro in Rom. Er besaß eine Wohnung im sechsten Stock, zu der zwei Dachterrassen gehörten, ganz in der Nähe der Piazza di Spagna. Als Mariana zum ersten Mal die Wohnung betrat, konnte sie nicht fassen, dass es so etwas gab: diese Aussicht ringsherum, aus welchem Fenster man auch blickte. Gegen Nachmittag schwirrten riesige Vogelschwärme vom Pincio quer über die ganze Stadt, in blitzschnell sich ändernden Formationen, wolkengleich warfen sie sich in den Himmel, stürzten sich senkrecht hinunter zum Tiber. Abends sah man die Sonne hinter dem Petersdom untergehen.
Die Wohnung war so geschnitten, dass man sich auf der Stelle gut aufgehoben fühlte. Auf dem dunkelroten Terracottaboden standen ein paar bequeme, klassisch schöne Möbel, und an den weißen Wänden hingen einige Bilder, alte und moderne gemischt. Eines Tages wird sich mein Seestück hier gut machen, dachte Mariana. Irgendwann würde sie Pietro die Geschichte des Bildes erzählen.
Rom gefiel Mariana über alle Maßen, auch wenn sie in der kurzen Zeit, die sie sich hatte abzwacken können, kaum wusste, wo sie die Stadtbesichtigung beginnen sollte. »Wie wär’s mit Bernini? Dann zeige ich dir das sinnlichste Marmorbildnis von ganz Rom«, versprach ihr Pietro. »Eine Heilige, die unter ihrer zartgemeißelten Kutte wie nackt wirkt und dahinschmilzt vor Hingabe, und einen merkwürdig lächelnden Seraphen, dem seine Aufgabe, das Herz der Teresa mit einem Pfeil zu durchbohren, nicht wenig Vergnügen zu bereiten scheint.« – »Aha, das also ist die göttliche Liebe«, meinte Mariana überwältigt. »Ein Teufelskerl, dieser Bernini. Bist du mit ihm verwandt?«
Er war es tatsächlich. Er stammte aus einem uralten Römergeschlecht, von dessen einstiger Bedeutung immerhin nochein alter, wenn auch leicht verstaubter Palazzo in der Via Giulia zeugte. Dort wohnten Pietros Eltern, zusammen mit einem Dienerpaar, zwei Katzen, einem Hund und einer Köchin, allesamt rüstig und klapprig zugleich. Wie aus einer vergangenen Zeit. Vielleicht entstand dieser Eindruck auch wegen der hohen, düsteren Räume, in die das Licht nur durch schmale Lamellen eindrang.
Pietros Eltern, die Marchesa und der Marchese, wie Mariana erst durch die Anrede des Dieners begriff, schienen hocherfreut, eine berühmte Opernsängerin bei sich empfangen zu dürfen. Dass es sich dabei auch noch um die zukünftige Schwiegertochter handelte, war offenbar weniger wichtig. Die beiden erinnerten Mariana an ihre russischen Großeltern, und das sagte sie ihnen auch. »Oh, Sankt Petersburg, dorthin haben wir unsere Hochzeitsreise gemacht«, riefen sie.
»Du hast ihnen sehr gefallen«, meinte Pietro auf dem Heimweg. »Ich weiß, du wirst jetzt sagen, sie seien entzückend, aber glaub mir, wenn sie jemand nicht mögen, dann beißt der bei ihnen auf Granit.« – »Haben sie überhaupt begriffen, dass wir heiraten wollen?«, fragte Mariana. »Na klar, die haben dich sehr viel genauer begutachtet, als du dir vorstellen kannst. Von jetzt an gehörst du zur Familie. Sie haben dich ins Herz geschlossen und sind sehr stolz auf dich, Madame la Marquise.«
Doch erst zwei Jahre später war es dann so weit, dass sie heiraten konnten. In Stockholm, »der Heimat der Braut«. Mit allem Pomp und der ganzen Familie, Schweden, Russen, Italienern, dazu mit vielen Freunden. Es war ein grandioses Fest, das
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