Im Schatten der Tosca
Todesfälle, Streitereien zwischen den vorgesehenen Partnern und vor allem ständige Terminverschiebungen, so dass Mariana, die sich extra freigehalten hatte, plötzlich ihrerseits durch ein anderes Engagement blockiert war.
Schließlich nahm Marcello Rainardi die Sache in die Hand. Seit Paris hatten sie immer wieder zusammen gearbeitet, jetzt fand er, dass auch die Süditaliener endlich Marianas Stimme zu hören bekommen sollten: »Schluss, aus, das gibt es doch nicht. Du singst jetzt bei mir in Neapel, am Teatro San Carlo, und zwar die Amneris, im kommenden Frühjahr, sag mir, wann du Zeit hast, dann kriegen wir das schon hin.«
Mariana war entzückt über dieses Traumangebot. Da stimmte wirklich alles. Das Werk, das Haus, die Rolle, dieStadt, der Dirigent. Ach, und auch die Gegenspielerin, die Aida. Denn es war niemand anderes als Astrid Berglund, ihre alte Freundin aus der Stockholmer Opernschule. »Ich hab’s geahnt, dass ihr euch kennt. Aber jetzt auch noch Busenfreundinnen«, seufzte Marcello. »Macht mir bloß keine Dummheiten! Vor allem: Lasst die Finger von den Neapolitanern. Die können verdammt ungemütlich werden, wenn sie etwas in den falschen Hals kriegen. Und das täten sie bei euch zwei nordländischen Teufelsbraten immerzu. Ich will euch nicht im Krankenhaus besuchen müssen – oder im Leichenschauhaus.«
»Um Gottes willen«, wunderte sich Mariana, »du bist doch selbst Neapolitaner.« – »Ebendrum. Schon die Art, wie du daherkommst, wie du dreinschaust und was du sagst, wie du reagierst ... Wenn du meine Frau wärst, hätte ich dich sicher schon lange erwürgt«, meinte Marcello und schaute Mariana finster an.
Er meinte das ziemlich ernst, das spürte Mariana. Sie war beeindruckt. Sie kannten sich ganz gut und mochten sich wirklich. Als besessener Musiker verlangte Marcello von allen Beteiligten, dass sie sich rückhaltlos auf die gemeinsame Arbeit einließen, da war er äußerst anspruchsvoll und unbequem und zu keinem Kompromiss bereit. Mariana gefiel das, aber sie hatte nie darüber nachgedacht, ob er vielleicht auch als Mann einen so rigorosen Standpunkt vertrat. Über private Dinge hatten sie wenig miteinander gesprochen.
Jetzt stellte sich also heraus, dass die Neapolitaner noch viel eifersüchtiger waren als jeder Otello. Bevor sie nach Barcelona gegangen war, hatte eine Kollegin Mariana schon vor den Spaniern gewarnt. »Die sind schlimmer als die Araber. Unsereins kann eigentlich nichts richtig machen. Selbst bei ganz harmlosen Bekanntschaften, mit denen du nur zum Essen ausgehst. Gleich spielt sich der Kerl als dein Besitzer auf. Ein falscher Blick, den du als Frau einem anderen Mann zuwirfst, und schon gibt es eine Szene. Im Glücksfall nur verbal, oftsetzt es aber auch Ohrfeigen.« Interessant. Aber in der Tat nicht verlockend für eine »Nordländerin«, wie Marcello sie nannte. Das Leben war für eine Frau schon kompliziert genug, da musste man sich nicht auch noch in fremden, archaischen Landessitten verheddern. Doch zunächst ließ sich alles ganz fabelhaft an.
Astrid und Mariana waren selig, sich endlich wiederzutreffen. Nach den Proben gluckten sie ständig zusammen, erforschten die Stadt, auch die verrufensten und schmutzstarrenden Viertel. Noch kurz vor einem gemeinsamen Abendessen mit Marcello und den Kollegen stopften sie sich in einer der vielen winzigen Kneipen mit einer der vielen tausend nicht immer definierbaren Köstlichkeiten voll, wobei sie sich gegenseitig anspornten: »Sängerinnen müssen schön fett sein, das ist ja bekannt.«
An anderen Tagen steigerten sie sich gegenseitig in einen Kaufrausch, es gab prächtige Stoffe, wunderschöne Handarbeiten, Lederwaren, Kleider, Geschirr, alles, alles gefiel ihnen. Nur wie sollten sie das Zeug heimschleppen, fragten sich die Freundinnen. »Wenn sie es nicht allzu eilig haben, schicken wir Ihnen die Sachen selbstverständlich nach Hause«, hieß es überall. Aber wohin eigentlich? Zumindest Mariana hatte gar keine feste Adresse mehr. Seit sie ihre Stuttgarter Wohnung aufgegeben hatte, betrachtete sie ihr Elternhaus als einen festen Ankerplatz, auch wenn sie nur selten dorthin kam. »Gut, dann schicken Sie das erst mal nach Stockholm«, entschied sie sich schließlich. Neapel – Stockholm, sehr viel weiter ging es kaum mehr innerhalb von Europa. Aber per Schiff gelangten die Kisten erstaunlich schnell an ihren Bestimmungsort. Schon nach kurzer Zeit telegrafierte Birgit entgeistert: »Ist das deine
Weitere Kostenlose Bücher