Im Schatten der Tosca
sich aneinander gewöhnt – auch an die schmackhaften Inselgerichte, die Esmeralda hinter dem Rücken der Köchin kochte, wenn die einmal Ausgang hatte. Der kleine Bruno wuchs zusammen mit seinen Milchgeschwistern auf, Silvana bekam noch zwei weitere Kinder, irgendwann tauchte auch Brunos Vater auf und machte seiner Frau ein neues Kind, bevor er wieder verschwand. In dieses Kindergewusel passte auch noch Massimo hinein. »Lass ihn doch ganz da«, sagte Pietro einmal, allerdingseher im Scherz, denn Mariana zeigte gleich die Krallen wie ein aufgeregtes Muttertier, dem man sein Junges wegnehmen will. Auch Birgit hätte sich nie darauf eingelassen, sie sah es schon mit Grausen, dass Mariana den Kleinen quer durch das kriegerische Europa mitschleppte. Ihr zuliebe nahm ihn Mariana schließlich nur noch mit, wenn es zum Vater ging.
Zu Marianas großer Erleichterung fand in Bayreuth nach Kriegsausbruch keine ›Parsifal‹-Aufführung mehr statt, auch kein ›Tristan‹ und kein ›Lohengrin‹. Sie hatte Hitler gegenüber jede Unbefangenheit verloren, vor einer Begegnung mit ihm schauderte es ihr, schon allein darum war ihr der ganze Grüne Hügel suspekt. Aber zumindest die Kundry hätte sie nicht absagen können, solange sie sich nicht direkt anlegen wollte mit den mächtigsten Kulturbonzen, die ihr sowieso schon übel nahmen, dass sie sich zu ihrem Nordländertum so gar nicht hatte bekennen wollen und sogar nach Kriegsausbruch ins feindliche Ausland gereist war, wenn auch nicht von deutschem Boden aus. Mehr durfte sie sich nicht herausnehmen. Sie und Pietro waren darauf angewiesen, dass sie sich in Deutschland ungehindert bewegen konnten, möglichst sogar noch unter privilegierten Bedingungen, zum Beispiel einem garantiert reservierten Platz im Schlafwagen bei den manchmal zum Bersten vollen Zügen.
Darum kam Mariana ein reichlich sonderbares Angebot der Berliner Oper sehr gelegen, der sie schon ein paarmal unter recht fadenscheinigen Ausreden abgesagt hatte, weil sich dort mehr als irgendwo sonst die allerhöchsten Nazigrößen einmischten, allen voran Goebbels, der zudem gutaussehenden Sängerinnen nachzustellen pflegte. Auch Mariana war er schon peinlich nahe auf die Pelle gerückt, sie hatte ihn sich nur mit einer ausführlichen Schilderung der Wohltaten des Stillens vom Leib halten können.
Dieses Angebot aus Berlin war eine ›Tristan‹-Aufführung in Lissabon! Dagegen war wirklich nichts einzuwenden, Propagandaabsichten hin oder her. Mariana vertraute auf die Musik,die sicher auch ein ahnungsloses Publikum fesseln würde, mit ihrer Brangäne wollte sie nach besten Kräften nachhelfen.
Gleich nach ihrer Ankunft in Lissabon ging Mariana hinunter zum Meer. Und plötzlich, während sie dastand und einige an der Reede liegende Überseedampfer bestaunte, überfiel sie eine ungeheure Sehnsucht, wie ein jäher, stechender Schmerz, es schnürte ihr die Kehle zu. Mariana war völlig überrumpelt, was nur trieb sie so verzweifelt hinüber zu diesen Schiffen? Was sie verspürte, war Verzweiflung, geradezu Panik, mit Fernweh hatte das nichts zu tun.
Natürlich nagte die Enttäuschung an ihr, dass ihr Amerika verschlossen war, ausgerechnet jetzt, da man sie dort überall, im Süden und Norden, Osten und Westen mit offenen Armen aufgenommen hätte. Sie war mit Leib und Seele Sängerin, jetzt brachten äußere Wirren sie wahrscheinlich um den ganz großen Erfolg. Das schmerzte, und wie – aber es ging nicht um Leben und Tod. Zudem, so schoss es Mariana durch den Kopf, wenn sie es unbedingt darauf anlegte und darüber hinaus in Kauf nahm, möglicherweise von einer Mine oder einem Torpedo in Stücke gerissen zu werden, dann würde es ihr schon gelingen, mit einem dieser Schiffe die Überfahrt zu machen, ganz legal, notfalls mit Kind und Kegel.
Schließlich begriff Mariana: Was sie da verspürte, waren gar nicht ihre eigenen Gefühle. Wieder einmal hatte sie die Atmosphäre eines Ortes aufgesogen, die Gefühle, Gedanken, Ängste, Sorgen, die ihn unsichtbar, aber nicht unfühlbar umgaben. Mariana passierte das immer wieder, oft erkannte sie den Zusammenhang gar nicht, wenn sie sich ohne ersichtlichen Grund plötzlich flau und niedergeschlagen oder auch glücklich fühlte. Allenfalls dachte sie an energetische Schwingungen, die einen Ort positiv oder negativ aufluden, woraus immer die sich zusammensetzten. Sie wusste jetzt auch, dass sie dieses Gefühl in schwachen Ansätzen schon einmal empfunden hatte: an Bord des Schiffes,
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