Im Schatten der Tosca
direkt betroffen, und Italien und Deutschland standen im allerbesten Einvernehmen. Aber vielleicht war sie einfach noch nie im Leben so zufrieden, noch nie so erfolgreich gewesen. Auch die Zukunft hatte rosig vor ihr gelegen, gerade noch hatten Pietro und sie die schönsten Pläne geschmiedet, und das alles schien nun zunichtegemacht.
Pietro wollte sie trösten. »Was willst du denn, in Italien ist doch alles einigermaßen in Ordnung. Vielleicht lässt sich Mussolini gar nicht hineinziehen in den Schlamassel. Ich finde, wir warten erst einmal ab, wie sich das Ganze entwickelt.« – »Und die Wohnung in Rom? Ob das so eine gloriose Idee ist, wenn ich ausgerechnet jetzt mit Massimo nach Rom übersiedle?«, fragte Mariana immer noch verzagt. »Vielleicht ist es doch besser, wenn der Kleine erst einmal in Stockholm bleibt, da ist er einfach sicherer«, musste Pietro einräumen. Aber dann fuhr er munter fort: »Dann geht es eben weiter wie bisher: Wir besuchen uns. Zudem werde ich einen Stellvertreter engagieren, ich weiß auch schon, wen, dann habe ich massenhaft Zeit.«
Zunächst sah es tatsächlich so aus, als sollte Pietro mit seinem Optimismus recht behalten. Allerdings schien er der momentanen Ruhe doch nicht ganz zu trauen. Jedenfalls riet er Mariana ungewöhnlich eindringlich, das überraschende Angebot der Met noch für den kommenden Winter festzumachen und nicht auf die nachfolgende Wintersaison zu verschieben, so wie Mariana es vorschlagen wollte: »Was man hat, das hat man. Dann feiern wir Weihnachten in New York.« Eigentlich hatte Mariana wegen Massimo einen gemütlichen schwedischen Winter geplant, darum ließ sich die US A-Reise tatsächlich einschieben. Schließlich bestand die größte Schwierigkeit darin, für Mariana, Birgit und Massimo Plätze auf einem Schiff zu bekommen. Denn seit Kriegsbeginn waren alleSchiffspassagen so gut wie ausgebucht. Zum Schluss fand sich doch noch eine komfortable, wenn auch keineswegs besonders geräumige Kabine in der ersten Klasse.
Anders als sonst herrschte dort keine vornehme Stille, sondern eine Mischung aus Melancholie und Hochstimmung. Kinder sprangen herum, es wurde geschluchzt und schallend gelacht, trüb ins Meer gestarrt, gestritten, umarmt. Außer Mariana und ihrer kleinen Familie hatte kaum jemand die Rückfahrt gebucht. Bis in die stickigen, düsteren Tiefen seines Bauches war das Schiff angefüllt mit hoffenden, angstvollen Menschen. Fast alle kamen aus Deutschland, und viele von ihnen hatten dieses Land schon vor einiger Zeit verlassen, Richtung Holland, Belgien, Skandinavien. Jetzt, nach Kriegsausbruch, fühlten sie sich auch dort nicht mehr sicher. Vergnügt, aus freien Stücken hatte sich keiner von ihnen auf die große Reise gemacht. Doch nun, je weiter man sich von der alten Heimat entfernte, rührte sich aufgeregte Neugier auf die neue Welt. Vor allem bei den jungen Leuten.
Marianas Mitreisende aus der ersten Klasse hatten allesamt Geld oder reiche Verwandte oder auch Hilfsorganisationen, die ihnen die Überfahrt bezahlten und wohl auch später für sie aufkommen würden. Auf einige wenige Wissenschaftler und Ärzte wartete bereits eine Stelle als Hochschulprofessor oder Klinikarzt, doch die meisten wussten nicht, wie ihre Zukunft aussehen würde.
Die meisten von ihnen liebten Musik, viele ganz besonders die Oper – und ihren Hausgott Wagner. Wie glücklich waren sie jetzt, Mariana auf der Passagierliste zu finden. Die hatte sich zu Anfang gegenüber diesen aufgescheuchten, aus ihrer Heimat verjagten Menschen sehr unbehaglich gefühlt. Jetzt war sie froh und erleichtert, ihnen eine Freude machen zu können. Sie saß mit ihnen zusammen, hörte ihnen zu, erzählte ihnen von ihrem eigenen Leben, sie kannte das Emigrantendasein. »Einer hilft immer, und es ist ja auch eine Chance, noch einmal ganz von vorne anfangen zu können«, versuchtesie ihnen Mut zu machen. Sie gab Matineen, sang zum
five o’clock tea
und am Abend und lauschte geduldig dem Gekratze und Geklimper hoffnungsvoller kleiner Nachwuchskünstler; sie schrieb sich Namen auf und verteilte Adressen und versprach dem halben Schiff, sich um Karten für ihren Opernauftritt zu kümmern. In New York plante sie mit Kollegen eine Art Schule für Emigrantenkinder, mit Unterrichtsstunden, Übungsräumen, Kursen. Die Begegnung mit diesen vielen entwurzelten Menschen hatte sie besonders empfindlich gemacht für Ungerechtigkeit und Leid.
Ein Jahr zuvor hatte Mariana in London einen jungen, noch
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