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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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fast unbekannten amerikanischen Dirigenten kennengelernt, einen genialischen, wilden Burschen jüdisch-russischer Herkunft. Über die wunderbare Gesanglichkeit der russischen Sprache waren sie in begeisterten Gedankensprüngen zu Mozart und Beethoven gelangt und von da zu Mahler, den sie beide so verehrten und liebten, dass sie auf der Stelle gemeinsame Konzertprogramme ersannen.
    Eines dieser Projekte kam jetzt in New York tatsächlich zur Aufführung, einige einflussreiche Herrschaften hatten es – auf den leicht erpresserischen Wunsch von Mariana – in aller Eile einzurichten gewusst: ein Mahler-Liederabend, mit Georges Goldberg, dem jungen Dirigenten, der sich als hervorragender musikalischer Begleiter am Flügel erwies. Daraufhin schrieb ein als schnöde verschriener Kritiker: »Mariana Pilovskaja ging uns schon mit ihrer ›Kundry‹ zu Herzen. Wie sie jetzt sang: ›Wo die schönen Trompeten blasen‹, hat sie es uns fast gebrochen. Zudem müssten jetzt dank ihrer Entdeckerfreude selbst stockkonservative Zuhörer begriffen haben, dass hier in dieser Stadt ein vor Begabung strotzender junger Musiker lebt. Welch ein Gespann!«
    Erst durch diesen Liederabend wurde sich Mariana richtig bewusst, wie sehr ihr in den langen Opernjahren die geliebten Lieder gefehlt hatten. Dabei lag es auf der Hand, dass sich die beiden Gattungen ideal ergänzten. Allerdings, so empfand esMariana, war beim Lied die Einheit von Sänger und Begleiter noch weit wichtiger als in der Oper. Ein passionierter Sänger konnte sich notfalls über ein lahmes Orchester hinwegschwingen, auch wenn das viel Kraft und Nerven kostete, während ein tumber, ungeschickter Klavierbegleiter ihn unweigerlich mit hinunterzog in die Niederungen der Mittelmäßigkeit. Aber gerade das Lichte, Leichte, Zerbrechliche machte diese Kunstform so reizvoll. Nach dem Liederabend mit Georges Goldberg war Mariana wieder auf den Geschmack gekommen. »Schumann, Schubert, Hugo Wolf, was für Schätze!«, hörte sie ihren alten Professor sagen. Stoff für ein gutes Dutzend Liederabende und daneben noch allerhand Russisches, so überlegten sich Mariana und Georges unternehmungslustig.
    Auf der Heimfahrt – Pietro war jetzt mit von der Partie – konnte sich die Familie gemütlich in zwei großen Kabinen ausbreiten. Wer fuhr jetzt schon nach Europa? Geschäftsleute, millionenschwere Müßiggänger, Salonabenteurer, deren Langeweile größer war als ihre Angst. Doch was hieß hier schon Angst? Niemand schien sie zu haben. Amerika lag weitab vom Schuss, da war die Welt noch in Ordnung. Solange man sich dort befand, rückten die Ereignisse in Europa in weite Ferne. Doch auch als sich das Schiff wieder europäischen Gefilden näherte, zerbrach sich keiner der Reisenden den Kopf über irgendwelche Kriegsgefahren. Allenfalls ging es darum, sich in dem kalten Winterwetter keine Erkältung zu holen. Wenn irgendwo in den Weiten der Meere ein paar Torpedos und U-Boote herumschwirrten, hatten sie es wohl nicht ausgerechnet auf einen schwedischen Passagierdampfer abgesehen.
    Auch Mariana und die Ihren ließen sich gerne von dieser Sorglosigkeit einlullen. Ein paar Tage nach der Rückkehr aus den USA brachte Mariana ihren Mann zum Flugplatz. Pietro legte schon seit Jahren längere Strecken mit dem Flugzeug zurück. Beide taten sie so, als sei es ein ganz normaler Abschied. Sie glaubten auch daran.

    London war Marianas erste Gastspielstation im Jahr 1940. Durch den kurzfristig eingeschobenen New-York-Aufenthalt hatte sie jetzt kaum Zeit, die Koffer auszupacken. »Wie willst du da eigentlich hinkommen? Der Kanal ist gesperrt. Von der Blockade und einem Handelskrieg hast du offenbar noch nichts gehört?«, fragte Alexej seine Schwester verwundert. »Ach Gott, dann fliege ich halt«, sagte sie leichthin. Immerhin verzichtete sie diesmal darauf, den kleinen Massimo mitzunehmen.
    Wieder hatte sie Glück. Noch während Mariana als Lady Macbeth auf der Bühne stand, überrollte die deutsche Wehrmacht Dänemark in Richtung Norwegen, wo sie schließlich auf den Widerstand britischer Truppen stieß. Jetzt herrschte in England einige Aufregung, und auch Mariana wurde es mulmig: Das Kriegsgeschehen war plötzlich recht nahe gerückt. Vor allem zeigte sich nun mit aller Deutlichkeit: Hitlers Überfälle im vergangenen Jahr waren tastende Versuche gewesen, gewissermaßen Fingerübungen. Jetzt wollte er sich das für die Rüstung unentbehrliche Eisenerz sichern, und dann würde er zum eigentlichen

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