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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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Entfernung erlebt, doch seit Ausbruch des zweiten großen Krieges in Europa wusste auch sie, wie sich das anfühlte, wenn man vor Niedergeschlagenheit und Erschrecken völlig durcheinandergeriet und sich am liebsten vollends aufgelöst hätte in einer passiven, schlaffen Verzagtheit. Allerdings hatte sich schon bald wieder ihr alter Lebenswille geregt. Sogar ihr Humor kehrte zurück: »Auf der Bühne zeige ich mich als das tapfere Heldenweib, und in der Wirklichkeit stecke ich beim ersten kleinen Ungemach den Kopf in den Sand«, verspottete sie sich selbst.
    Wie ein Arzt, der einen Rückfall vermeiden möchte, hatte sich Mariana zwei starke Hilfsmittel verschrieben: so viel Arbeit wie möglich. Und: so wenig sehen, hören, mitkriegen wie möglich von allen Ereignissen, die der Krieg mit sich bringen mochte. Folglich nahm sie eine ganze Zeitlang diverse Unannehmlichkeiten einfach nicht zur Kenntnis. Die gehörten eben zum Leben fahrender Sängerinnen.
    Die Verspätung der Züge wurde mit der Zeit allerdingsdoch etwas lästig, hauptsächlich durch ihre Unregelmäßigkeit. Bei einer Verspätung konnte es sich um Stunden handeln, um Minuten, es half alles nichts, man musste auf dem Bahnsteig auf seinen Koffern hocken bleiben und brav warten, denn niemand wusste Bescheid, nicht einmal, ob der Zug auf dem vorgesehenen Gleis einfahren würde. Im Wartesaal wurden vorsichtshalber schon gar keine Ansagen mehr gemacht. Wenn Mariana im Zug saß und der wieder einmal auf offener Strecke stehen blieb, fand sie das fast schon gemütlich, sie saß ja im Trockenen.
    Beim ersten Fliegeralarm war auch sie aufgestanden und in den Luftschutzkeller geeilt. Dort musste sie drei Stunden ausharren, alles war so aufregend und ungewohnt, dass sie ans Schlafen gar nicht dachte. Irgendwann ertönte Entwarnung, nichts war passiert, doch am nächsten Tag fühlte sich Mariana müde und schlecht gelaunt, so dass sie beschloss, das nächste Mal ganz einfach im Bett zu bleiben. Auf eventuelles Sirenengeheul und entferntes Gerumpel achtete sie bald nicht mehr.
    Bis sie eines Nachts in einem fremden Hotel – ihre alte, vertraute Pension war ein paar Wochen zuvor ausgebombt worden – davon aufwachte, dass unter enormem Geklirre und Getöse etwas Hartes, Schweres, Großes unten auf ihrer Bettdecke landete und zugleich ein gewaltiger Luftdruck durchs Zimmer fauchte. Erschreckt zog sie die Beine hoch, im Zimmer war es dunkel, der Lichtschalter bewirkte nichts mehr, aber nachdem sich ihre Augen daran gewöhnt hatten, erkannte sie im Schein der niederschwebenden »Christbäume« und im Aufflammen der Flakabwehr das Ding auf ihrem Bett als einen Fensterrahmen. Jetzt hatte es Mariana doch recht eilig, in ihre Kleider zu fahren und in den Keller zu gelangen, aber wo immer sie hinfasste, waren Glassplitter, selbst in den Schuhen. Als sie sich endlich unter grässlichem Knirschen aus dem Zimmer tastete, krachte, ballerte und blitzte es draußen immer stärker, der fensterlose, stockdunkle Gang schien kein Ende zu nehmen, aber irgendwann gelangte sie an die eiserneKellertüre und donnerte mit Händen und Füßen dagegen, weil sie in der Aufregung den Mechanismus der Verriegelung nicht begriff.
    Marianas Entschlossenheit, bestimmte Lästigkeiten nicht zur Kenntnis zu nehmen, schnurrte nach diesem Erlebnis ziemlich in sich zusammen. Dafür machte sie jetzt recht interessante Luftschutzkellererfahrungen. Da immer noch keine besonders schweren Angriffe erfolgten und Mariana auch das Glück hatte, keinen unmittelbaren Bombenhagel mitzuerleben, waren die meisten sogar ganz lustig. Man schwatzte miteinander, manche spielten Karten, einige schliefen, irgendjemand zog eine Thermoskanne oder eine Schnapsflasche oder Kekse hervor und bot den in der Nähe Sitzenden davon an. Die Leute, so fand Mariana, waren erstaunlich gefasst und nett zueinander, fremde Kinder durften sich auf wertvollen Taschen und Mänteln ausstrecken, wenn jemand vor Angst schlotterte, versuchte man ihn aufzumuntern.
    Fast immer ertönte der Alarm, wenn Mariana schon im Hotel oder noch in der Oper war, daher kannte sie dort die Luftschutzräume. Die waren ganz gemütlich eingerichtet mit Sesseln und Decken, nicht gerade die allererste Garnitur, dafür bequeme, ausrangierte Modelle vom Dachboden oder aus alten Bühnenbildern.
    Nur einmal verschlug es Mariana in einen öffentlichen Bunker, einen gewaltigen Höllenschlund, einen aufgelassenen Tunnel. Die klamme Kühle ließ schon den Hereinkommenden

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