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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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deine Großtante Chiara, sondern sie wusste zu jedem Bild eine Anekdote, in der es wimmelte von Entführungen und Duellen und anderen spannenden Ereignissen. Der Großvater erzählte lieber aus der Geschichte. Auch er schleppte Bücher herbei, dicke Schwarten, oft mit lateinischen Texten, die er aus dem Stand übersetzte.
    Manchmal fiel die gesamte Kinderschar wie ein Vogelschwarm in Marianas Häuschen ein, so dass es fast aus den Nähten platzte. Dann floh sie nach einiger Zeit zu ihrem Flügel, der noch in Pietros Wohnung stand. Ein ziemliches Wohnungsdurcheinander, ständig flatterte jemand von Nest zu Nest, doch niemand störte sich daran. »Polnische Wirtschaft hätte man das bei uns genannt. Als Hausfrau, fürchte ich, bin ich etwas chaotisch«, tat Mariana zerknirscht. »Eine grauenvolle Vorstellung, gar nicht auszuhalten, wenn du da auch noch so ordentlich und bienenfleißig wärst wie als Künstlerin«, erwiderte Pietro schmunzelnd. »Was bleibt mir anderes übrig? Du jagst mich ja dauernd in der Welt herum«, jammerte sie.
    Ganz aus der Luft gegriffen war die Behauptung nicht, denn nach und nach schwirrte Mariana wieder fast genauso viel umher wie in ihren reiselustigsten Zeiten: Mailand, London, Paris, Lissabon, Barcelona, Genf, Amsterdam, Kopenhagen, Wien. Selbstverständlich auch Stockholm, immer wieder, schon um die Familie zu sehen, die Großeltern, den Bruder, Birgit, die sich als Reisebegleiterin langsam zu alt fühlte: »Lieber besuche ich euch in Rom.« Daneben Tourneen in Nord- und Südamerika, irgendwann auch Australien, Angebote kamen aus der ganzen Welt.
    Die aufregendste Anfrage erhielt Mariana aus Leningrad, ihrem verklärten alten Sankt Petersburg. Man bewundere und verehre sie, eine Zusammenarbeit mit ihr würde das Haus mit Stolz erfüllen, nur zahlen könne man leider so gut wie nichts. »Endlich in Russland und auf Russisch singen! Dafür würde ich noch draufzahlen und sogar die verhasste Schankwirtin singen«, hatte Mariana oft gesagt. Sie hoffte natürlich auf ein Zustandekommen, aber sie zögerte auch.
    Es war tatsächlich Pietro, der Mariana gut zuredete, die Reisestrapazen noch einmal auf sich zu nehmen: »Der Krieg hat deine Karriere durcheinandergebracht, aber zum Glück nicht zerstört. Sei froh, dass du noch so gefragt bist. Wenn du dichjetzt nicht auf die Socken machst, ist es zu spät. Dann ärgerst du dich zu Tode, das Gejammer möchte ich mir nicht anhören müssen. Komm, komm, keine Müdigkeit vorschützen, du bist ein altes Zirkuspferd, das trabt auch lieber in der Manege herum, als dass es auf einer fetten Wiese sein Gnadenbrot frisst.« – »Oder geschlachtet wird«, ergänzte Mariana lachend. Wie froh war sie, dass Pietro sie so antrieb, ihr bedingungslos den Rücken freihielt und nicht zuließ, dass sie aus einem sentimentalen Pflichtgefühl heraus und dem kleinen, frisch entwurzelten Massimo zuliebe ein ganz überflüssiges Opfer brachte und schon jetzt mit dem Singen aufhörte oder es zumindest stark einschränkte.
    Ein klein wenig hatte sie mit solchen Gedanken kokettiert, zum ersten Mal in ihrem Sängerleben. Pietros Meinung war eindeutig. »›Ich hab mich für die Familie geopfert!‹ Das möchte ich niemals hören, wenn ich nur daran denke, kriege ich eine Gänsehaut. Damit haben Generationen unzufriedener Frauen ihre Lieben tyrannisiert und lahmgelegt.« Auch Mariana begriff: Was da als Edelmut daherkam, war eigentlich Bequemlichkeit, geradezu Faulheit. Einfach alle viere von sich strecken und das Leben genießen, Frau Professor Bernini, die ehemalige Diva, was musste sie sich denn noch beweisen? Mariana schmunzelte, derartige Anwandlungen kannte sie bis dahin noch nicht bei sich, aber das sonnige, verlockend schöne Rom vermochte es wirklich, noch den umtriebigsten Nordländer zum Nichtstun zu verführen. Im Grunde war gegen dieses
dolce far niente
nichts einzuwenden, auch nicht dagegen, dass sie jetzt gern gemütlich mit Mann und Kind zusammengeblieben wäre, außer eben, dass sie es nicht lange ausgehalten hätte. Dafür brodelten immer noch viel zu viel Tatenlust und Kraft und Ehrgeiz in ihr – auch wenn sie jetzt Mitte vierzig war. Vielleicht sogar aus diesem Grund: Sie hatte keine Zeit mehr zu verlieren, Pietro hatte recht: Wie ein großer, starker Vogel musste sie noch einmal zum Flug ansetzen und etwas Unterbrochenes zum Abschluss bringen.
    Etwas machte Mariana allerdings doch zu schaffen: Wäre der Krieg nicht dazwischengekommen, hätte sie

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