Im Schatten der Tosca
sich lieber von einem zwitschernden Hofstaat umschwirren. Der sollte ihm schöntun und ihn unterhalten. Wenn er genug davon hatte, stand er auf und ging einfach weg.
Das Konzert versöhnte Mariana dann. Jens Arne hatte es effektvoll zusammengestellt, Beethovens Vierte und Tschaikowskis Sechste Symphonie, klassische Strenge und aufgewühlter Herzenserguss. Wunderbar durchsichtig und straff, aber doch arg kühl der Beethoven, Tschaikowski dann so wild und schluchzend und dem Untergang zustürzend. Die Zuhörer tobten. Sieh mal an, der Junge hat wirklich seinen Stil gefunden. Vielleicht etwas glatt, aber mit viel Schwung. Wir sollten auch mal wieder zusammenarbeiten. Das Drumherum kann mir egal sein, dachte Mariana.
Mit Marcello Rainardi hingegen war es vom ersten Augenblick an wie früher. Er schien sich überhaupt nicht verändert zu haben, er war noch der alte Hitzkopf, und sie kamen wunderbarmiteinander zurecht. In der wiederaufgebauten Scala arbeiteten sie mit großem Eifer zusammen. Mariana sang für sie neue Belcantopartien wie die Adalgisa aus der ›Norma‹ von Bellini und die Giovanna Seymour aus der ›Anna Bolena‹ von Donizetti. »Siehst du, als stimmgewaltige Wagnerheroine müsstest du diese differenzierten Rollen vergessen«, sagte Marcello, der um Marianas geheimen Kummer wusste.
Nur über Astrid durfte lange Zeit nicht gesprochen werden. Traurig dachte Mariana an die fabelhafte gemeinsame ›Aida‹, wie gerne hätte sie die jetzt wiederholt! Umso mehr, als Astrid und sie mit diesem Stück sogar auf Tournee gingen und dabei Riesenerfolge erlebten, trotz der meist mittelmäßigen Dirigenten. »Ja, ja, Mariana, probier’s halt mal«, meinte irgendwann auch Astrid ohne rechte Überzeugung. Doch Marcello blieb nachtragend und bockig. Dadurch kam eine ganze Reihe sicherlich sehr schöner Aufführungen erst einmal nicht zustande.
Schließlich, in Glyndebourne, liefen sich Astrid und Marcello doch noch über den Weg. Es war eher erstaunlich, wie lange sie das hatten vermeiden können. Alle Anwesenden zogen die Köpfe ein, aber zunächst passierte nicht viel, ein paar Belanglosigkeiten, so, so, aha, kühle Blicke. Ein paar Tage später geriet Marcello wie zufällig in eine Probe von Astrid, gegen ein gemeinsames Essen war eigentlich nichts einzuwenden, und dann, Mariana konnte nur noch die Augen rollen, ging die ganze Geschichte von vorne los. »Astrid, ich flehe dich an, bist du verrückt«, »Marcello, bitte, tu dir das nicht an, dir nicht, Astrid nicht, uns nicht«, beschwor Mariana die Freunde. Genauso gut hätte sie den dahinstürmenden Wolken Einhalt predigen können.
»Was willst du, ich habe doch bloß unsere ›Aida‹ gerettet«, sagte Astrid betont schnoddrig und fügte hinzu: »Ich habe meine südländischen Gockel satt, diese Leichtgewichte, die nichts auf die Beine bringen und sich trotzdem aufplustern, einfach weil sie ein Männchen sind. Marcello ist doch wenigstensals Musiker ein toller Kerl.« Vielleicht brauchten die beiden sich wirklich, an Temperament und Eigensinn blieben sie sich jedenfalls nichts schuldig. Aber eben auch nichts an kreativem Feuer, die Musikwelt konnte sich über die Versöhnung freuen.
Mariana hielt nichts von solchen amourösen Verstrickungen im Berufsleben, schon gar nicht bei Sängern. Sie machte aus ihrer Ansicht Astrid gegenüber keinen Hehl, aber ihre Vorhaltungen fruchteten nichts: »Wenn ich dich so höre, frage ich mich, wie wir Sänger es überhaupt je mit einem Menschen aushalten können – und der mit uns. Warum nicht gleich Einsiedler werden, der Welt entsagen, als ›Hohe Priesterin der Kunst‹. ›Dienen, dienen‹, wie die verehrte Kundry, das wäre doch was für uns.«
»So ein Quatsch«, verteidigte sich Mariana. »Ich finde, man sollte die Dinge nicht unnötig komplizieren. Mit der Liebe zurechtkommen, das ist bereits eine hohe Kunst, und das Gleiche gilt fürs Singen. Wenn man beides miteinander verpantscht, riskiert man Kopf und Kragen, ohne Not, es wäre nicht nötig gewesen. Aber natürlich brauchen wir Partner in unserem Beruf, treue, kampferprobte Partner. Freunde! Mensch Astrid, wem sage ich das? Das ist das sichere, solide Terrain, von dem aus ich agieren kann, soll ich mir das mutwillig durch Sentimentalität gefährden?«
Ohne verlässliche Freunde, Partner, konnte sich Mariana ihr Sängerdasein gar nicht vorstellen. Auf das Zusammensein mit ihnen, die gemeinsame Arbeit, freute sie sich schon Monate vorher. Alles machte ihr mit
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