Im Schatten der Tosca
mit dem ›Lied von der Erde‹. Auch wenn ich es noch sosehr liebe, oder gerade darum, ohne dich wollte ich es nicht machen.«
Begeistert stürzten sie sich in die Arbeit. Und als Mariana behauptete, bei einer ihrer Herzensrollen, der Leonore aus dem ›Fidelio‹, womöglich nicht mehr ihr altes Feuer entfachen zu können, fegte Georges ihre Bedenken dahin und riss sie wieder mit. Dieser glühende Schwung, der sich stets auch den Zuhörern mitteilte, sollte ihnen all die Jahre über erhalten bleiben, die sie noch miteinander musizierten. »Eigentlich kann ich’s nur mit Besessenen, mit Verrückten. Bei den Normalen, den Vorhersehbaren, langweile ich mich und werde selbst langweilig«, gestand sich Mariana.
Auch Jens Arne Holsteen und zum Glück auch Marcello Rainardi waren wieder aufgetaucht. Jens Arne begegnete Mariana zum ersten Mal wieder in London, wo sie als Ulrica gerade mit den Proben zum ›Maskenball‹ begonnen hatte und er für ein Sinfoniekonzert probte. Sie wohnten im selben Hotel, und so liefen sie sich immer wieder über den Weg.
Er kam ihr sehr verändert vor. Noch bei ihrem letzten Treffen in Salzburg hatte er, trotz Allüren und Ticks, etwas Jungenhaftes an sich gehabt. Selbst wenn er sich Mühe gab, es zu verbergen, etwas Linkisches, Unsicheres schimmerte ab und zu durch, was ihn dann ärgerte, falls er es überhaupt merkte. Gerade dieses Gefühlskuddelmuddel machte ihn letzten Endes liebenswert, zumindest für Menschen, die ihn gut kannten.
Jetzt, in den wenigen amerikanischen Jahren, hatte sich der kleine Provinzler vollends in einen perfekten Weltmann verwandelt. Alles an ihm war tadellos, sein Auftreten, der Schnitt seines Anzugs, die Frisur, Schuhe, die edelsteinbesetzten Knöpfe an seinem Frackhemd, an der gestärkten Hemdbrust und an den Manschetten. Überall exquisite Schlichtheit, Kaschmir, feinstes Tuch, Saffian- und Juchtenleder. Er trug es mit überzeugender Selbstverständlichkeit.
Die leichten Narben in seinem Gesicht, die von der Jugendakne stammten, mochten zunächst überraschen, aber besonders die Damen, wie Mariana feststellen konnte, sahen in ihnen die geheimnisvoll verwitterten Spuren eines schmerzlich bewegten Innenlebens. Zudem verliehen sie seiner Perfektion einen Hauch von anrührender Natürlichkeit.
Seine Frau, die Amerikanerin, hatte sich nicht ganz so gut gehalten. Mariana hatte sie nur einmal getroffen, kurz vor Kriegsausbruch, eine schmale Erscheinung in einem märchenhaft schönen Abendkleid wie aus flüssigem Silber. Jetzt merkte man ihr die paar Jährchen Vorsprung vor ihrem schlanken Ehemann an. Alles an ihr wirkte schwerer geworden, die Augenlider, das Kinn, der Busen, der Schmuck, auch die Kleidung, nicht protzig, aber wahrhaftig auch nicht diskret.
Rebecca Holsteen besaß Witz und Verstand. Und sie strotzte vor Selbstbewusstsein – das mitnichten auf einem Ehemann gründete. Sie genoss das glanzvolle Leben, das ihr die Position ihres Mannes bot, aber als Spross einer steinreichen Tabakdynastie fand sie daran nichts Außergewöhnliches, es stand ihr einfach zu.
In Jens Arnes Brust saß kein Herz aus Stein – wie bei seinem Vater. Mariana erinnerte sich mit leichtem Schauder an die damalige Begegnung. Weltmann hin oder her: Vor allem anderen war Jens Arne Musiker, Künstler, ein leidenschaftlicher Dirigent. Als solcher gehörte er zu den besten seiner Generation, den die berühmtesten Orchester und Künstlerumbuhlten. Dank seiner Begabung und Besessenheit hatte er es so weit gebracht, niemand hatte ihm dabei helfen müssen, schon gar keine Ehefrau. Selbst in Amerika hätte er seinen Weg alleine gemacht, Rebeccas fabelhafte Kontakte hatten allenfalls ein paar Stolpersteine entfernt und zusätzlich einen weichen Teppich ausgerollt. Gewiss ein recht angenehmer, aber nicht notwendiger Luxus. Wer weiß, ob ihm als hartnäckigem Kletterer nicht ein paar spitze Steine und Felsbrocken hie und da gefallen hätten.
Geschadet jedenfalls hätten sie ihm bestimmt nicht. Gerade ein selbstherrlicher Geselle wie er brauchte gelegentlich Widerstand, zum Beispiel Kollegen, andere Künstler, Kritiker, die ihm sagten, was ihrer Meinung nach einmal nicht so gut gelungen war. Das rückte dann die Lobhudeleien wieder zurecht, die solch ein Mensch im Überfluss zu hören bekam. Schließlich konnten auch Fachleute verschiedene Vorstellungen über die Gestaltung eines Werkes besitzen.
Früher hatte auch Jens Arne solche Auseinandersetzungen geschätzt. Jetzt jedoch ließ er
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