Im Schatten der Tosca
diesen Menschen Spaß, die Proben, die Aufführungen, die Reisen, das Zusammenhocken, Trinken und Essen. Ihnen zuliebe übernahm sie sogar mühselige Verpflichtungen, wie seinerzeit im Krieg, als sie unter Lebensgefahr in Notunterkünften spielte, nachdem die Opernhäuser bereits zerstört waren. Selbst die schönste Gage, das fabelhafteste Programm konnten sie nicht dazu bewegen, sich auf eine Tournee einzulassen, auf der nicht die richtigen Leutemit von der Partie waren. Sich mit arroganten Kollegen herumzuärgern, dafür war ihre Zeit zu kostbar.
Doch stets bestand Mariana auf ihrer Unabhängigkeit. So treu sie ihrerseits den Gefährten war, sie brauchte auch Abwechslung. Immer nur ein und derselbe Dirigent, womöglich noch mit einem gleichbleibenden Team, das hätte ihr nicht behagt. »Beständigkeit in der Abwechslung oder abwechselnde Beständigkeit« nannte sie das und empfahl es auch ihrer Freundin Astrid. »Ach, Mariana, du hast gut reden«, sagte die nur.
Mariana war nämlich etwas gelungen, von dem viele ihrer Kolleginnen behaupteten, es sei ganz unmöglich: Sie hatte ihre Sängerkarriere und ihr Familienleben unter einen Hut gebracht. Eigentlich konnte man sogar sagen: Sie hatte sich eine Sängerkarriere geleistet und zugleich ein Familienleben, das hatte sie gewagt und auf sich genommen. Darin bestand der eigentliche Luxus. Wenn beides auch noch gut ging, dann war das unverschämtes Glück. »Erarbeitetes« Glück, hart erarbeitet.
Die bejubelte Wiederaufnahme ihrer ›Aida‹ machte den beiden Freundinnen Mut, noch weitere erfolgsträchtige Renner auf ihr Gemeinschaftsprogramm zu setzen: »Wunderbarerweise lacht uns das Publikum noch nicht aus, wenn wir uns als heißbegehrte oder verschmähte Liebhaberinnen auf der Bühne die Augen auskratzen. Lass uns solange noch Geld scheffeln«, überzeugten sie Marcello. Eine Reihe von Aufführungen kam so zustande, überall auf der Welt stürmten Opernnarren die Kassen, um das große Ereignis mitzuerleben: ›Norma‹, ›Anna Bolena‹ und ›Troubadour‹. Zudem von Mozart ›Così‹ und der ›Titus‹. Das hatte sich Mariana gewünscht, zum Ausgleich für die viele »Italianità«.
Die Rolle des Sextus war neu für Mariana, die leidenschaftliche Brillanz des Stückes riss sie mit, wenn sie durch die Flammen des brennenden Kapitols irrte, empfand sie wirklicheVerzweiflung, jedes Mal musste sie an die Schreckensnacht in München denken. »Dass wir das noch erleben dürfen, neue Rollen als uralte Opern-Zirkusgäule«, sagte Mariana glücklich.
Selbst Wagner kam nicht zu kurz. Meist dirigierte Georges Goldberg, häufig genug auch in Italien, an allen möglichen Orten, denn wundersamerweise vergötterten die Italiener mehr denn je dessen Musikdramen. »Ich glaube, Wagner ist ihnen nicht ganz geheuer, irgendwie finden sie ihn germanisch-exotisch, aber gerade darum schwärmen sie für ihn«, beschied Georges. Mariana nahm mit Freude ihre alten Partien wieder auf, Brangäne, Ortrud, im ›Ring‹ Fricka und Waltraute.
Auch neue Musiktheaterwerke lernte sie durch Georges Goldberg kennen. Er liebte Alban Berg und beschwor Mariana, die Marie im ›Wozzeck‹ zu singen. Zu Anfang zierte sie sich: »Das liegt zu hoch für mich. Dafür bin ich zu alt, so ein junges, lebenshungriges Ding.« Aber Georges blieb ungerührt: »Ach was. Um die Höhe mach dir mal keine Sorgen. Und wenn Frank Carstens Regie führt, ist es sowieso zappenduster, du musst allenfalls aufpassen, dass du nicht zu früh in den See stolperst.« Die Schwierigkeit kam von einer anderen Seite: Das Mitleid mit ihrer Marie schnürte Mariana auf den Proben immer wieder die Kehle zu. »Nicht zu fassen«, murmelte sie und schnäuzte sich in ihr Taschentuch. »Was bin ich nicht schon verzweifelt gewesen, außer mir geraten und vor Kummer gestorben in tausend Rollen. Kalten Blutes. Jetzt sing ich meinem kleinen Sohn ein Liedlein vor und fang das Heulen an.« Georges nickte nur.
So gut es ging, achtete Mariana bei der Planung ihrer Termine darauf, dass sie nicht allzu lange von Rom oder Italien fernblieb. Sie sang in Bologna und Florenz, in Palermo und Neapel, an der Scala liebte man sie als fesselnde Partnerin der berühmtesten Gesangsstars, in Rollen wie der Ulrica, der Giovanna Seymour oder ihrer geliebten Azucena.
Auch bei der Uraufführung von ›The Rake’s Progress‹ von Stravinsky war sie mit von der Partie, im schönen Fenice, wo sie mit Genuss und zur allgemeinen Freude eine monströse,
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