Im Schatten der Tosca
plappernde, schimpfende Türkenbab hinlegte, mit wallendem Bart und wabbeligem Riesenleib. »Alte Schreckschrauben, wahrscheinlich wird das später einmal mein Schicksal sein, nun gut, mir macht’s Spaß«, erklärte sie der Familie.
Pietro besuchte sie regelmäßig zu den Premieren und begleitete sie sogar manchmal ein Stück weit auf ihren Reisen. Dazu hatte Massimo keine Zeit mehr, er ging inzwischen aufs Gymnasium, in die gleiche Klasse wie Stefano, und konnte nicht einfach die Schule schwänzen, aber für einen Abstecher nach Mailand, Neapel oder Venedig reichte es doch. Aus dem kleinen Schwedenbübchen war ein waschechter Römer geworden, ohne Mühe glitt er von einer Sprache, einer Identität in die andere. In Rom lebte er sein Alltagsleben, und in den Ferien verschwand er nach Schweden.
Einmal, in Salzburg beim ›Titus‹, war alles wie in alten Zeiten. Hier sang auch Erna mit, und wieder hatten die drei Damen ein Haus gemietet, für sämtliche Männer, Mütter, Kinder. Alle kamen, sogar Birgit, so dass Massimo diesmal nicht nach Schweden fahren musste, um seine Großmutter zu sehen. Pietros Eltern allerdings fühlten sich für die weite Reise zu alt.
Jens Arne Holsteen dirigierte, auch das war fast schon Tradition. Wenn er in Europa nicht herumreiste, lebte er meist in der Nähe von London. Rebecca hatte dort ein »europäisches Pied à Terre« gekauft, wie sie es nannte, ein mächtiges Tudor-Landhaus mit Türmen und Zinnen und bestimmt hundert Zimmern, die außer dem Architekten wohl noch niemand gezählt hatte.
Häuser kaufen war offenbar ihre Leidenschaft. Vor Kurzem hatte sie bei Salzburg »ein gemütliches Refugium für uns und unsere Gäste« erstanden, diesmal einen klotzigen Zwitter aus Ferienvilla und Jagdschlösschen, der mitten im dichten Waldauf einer Lichtung thronte und zu dem man durch eine Schlucht über eine schotterbestreute Privatstraße gelangte.
Die Freitreppe flankierten zwei gewaltige gusseiserne Hirsche. Auch innen im Haus Hirschgeweihe, wohin das Auge fiel, als Kronleuchter oder Mantelhalter. Die mächtigsten hingen als Trophäen entlang der beiden Längsseiten eines auf altdeutsch getrimmten Rittersaals. An den Wänden und auf dem Boden kündeten Tigerfelle, Elefantenfüße, ein Nashornkopf und dergleichen von den Schießkünsten des Vorbesitzers, eines Nazibonzen, der während des deutschen Afrikafeldzuges zusammen mit ein paar hohen Parteigenossen auf Safari zu gehen beliebt hatte.
Ein stattlicher Rahmen, den Rebecca majestätisch zu füllen wusste, genauso wie das tief dekolletierte Abenddirndl aus schwarzem Moiré mit der blau-violett changierenden Seidenschürze. Jens Arne hingegen, in seinem Salzburger Trachtenjanker aus Leinen, wirkte hier völlig verloren. »Wollt ihr noch ein Gläschen Champagner?«, fragte er wie ein artiges Kind seine Gäste, zu denen auch Mariana, Erna, Astrid und ihr Anhang gehörten. »Wahrscheinlich hast du jetzt auch einen Sepplhut mit Gamsbart und eine Flinte und gehst im Walde so vor dich hin«, amüsierte sich Astrid.
»Lachen Sie nicht«, bemerkte Rebecca. »Früher hat er immer gesagt, Spazierengehen sei todlangweilig, aber inzwischen streift er stundenlang durch den Wald. Die Waldluft tut ihm gut, wenn er heimkommt, ist er immer frisch und aufgeräumt.« – »Oh, wenn du so gerne wanderst, dann komm doch mal mit uns mit«, lud Mariana ihn ein, aber Jens Arne lehnte dankend ab: »Nein, nein, ich bleibe lieber in meinem Wald und allein.«
Ganz stimmte das offenbar nicht. Als Mariana und Pietro ein paar Tage später in einer hochgelegenen Almhütte ein Glas Milch trinken wollten, entdeckten sie am Tisch in der Stube ihren Freund. Weder im Wald noch allein. Denn neben ihm saß ein zierliches junges Mädchen mit blonden Zöpfen.Die Stube war so klein, dass man nicht so tun konnte, als sähe man einander nicht. Erstaunlicherweise winkte Jens Arne den Eintretenden sogar zu: »Kommt, setzt euch zu uns. Das ist das Dorle. Sie zeigt mir ein bisschen die Gegend.«
Mariana und Pietro setzten sich doch lieber draußen auf die Bank: »Das Dorle«, meinte Mariana gerührt. »Undine müsste sie heißen, das liebreizende Geschöpf. Wie eine taufrische Bergwiesenblume.« Pietro pflichtete ihr bei: »Hast du ihre vergissmeinnichtblauen Augen gesehen?«
Inzwischen, ein paar Jahre nach dem Krieg, tummelte sich wieder ein internationales und betuchtes Publikum in der kleinen Stadt. Rebecca und ihr Clan jedoch, der Gebirge und Mozart zur Abwechslung ganz
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