Im Schatten der Vergeltung
ging langsam im Zimmer auf und ab. Louisa verfolgte das Gespräch aus ihren großen, ängstlichen Augen und wagte nicht, einen Ton von sich zu geben. Armes Ding, dachte Maureen, unterdrückte aber gleich das Mitgefühl. Sie hätte ihn ja nicht heiraten müssen. »Ich wollte nicht deine ganze Lebensgeschichte hören«, herrschte Murdoch sie barsch an. »Nun gut, wir wollen es mit dir versuchen. Meine Tochter mag dich, und von meiner Frau habe ich auch nichts Negatives gehört. Aber von meiner Frau höre ich ja nie etwas, oder?« Er trat so forsch neben Louisas Sessel, dass diese sofort tiefer in das Polster sank und ihn angstvoll anstarrte
»Clifford ...«, stammelte sie, er winkte aber ungeduldig ab.
»Ach, schon gut. Weiberhaushalt! Wenn ich da an die Zeit in der Armee denke ...« Maureen zuckte zusammen. Würde er Schottland erwähnen? Murdoch fuhr jedoch nur unfreundlich fort: »Du kannst gehen. Denk daran, Susan braucht eine feste Hand, sie ist völlig verwildert. Wenn ich mir aus dem Balg auch nicht viel mache, irgendwann muss ich sie gut verheiraten, damit ich wenigstens einen Vorteil von dem Mädchen habe.«
Nur mit Mühe unterdrückte Maureen eine empörte Entgegnung. Sie senkte den Blick, damit Murdoch nicht ihre Wut sah, knickste und verließ das Zimmer. In der Halle lehnte sie sich an die holzgetäfelte Wand und presste beide Hände auf ihre Brust, als könne sie damit ihr wild klopfendes Herz beruhigen. Das also war Clifford Murdoch! Der skrupellose Offizier und Vergewaltiger ihrer Mutter ... und ihr eventueller Vater.
»Nein!«, keuchte Maureen. Sie schüttelte sich bei dem Gedanken, dieser feiste, rotgesichtige Mann könnte ihr Erzeuger sein. Wahrscheinlich würde sie es aber niemals mit Sicherheit herausfinden. Jetzt, da Murdoch wieder zu Hause war, musste sie sich darauf konzentrieren, wie es ihr gelingen könnte, von ihm die Namen der beiden anderen Verbrecher zu erfahren. Keine leichte Aufgabe, aber sie würde schon einen Weg finden. Und dann wollte sie Murdoch in seinen Untergang schicken.
V om Fenster ihrer Kammer, die unmittelbar neben Susans Schlafzimmer lag, beobachtete Maureen die Ankunft der Gäste. Eine Kutsche nach der anderen rollte über die kiesbestreute Auffahrt vor das Portal. Elegant gekleidete Damen und Herren entstiegen den Kutschen, von denen die meisten kunstvoll gemalte Wappen auf den Schlägen trugen. Die Männer trugen modische, weiß gepuderte Perücken, die Frauen aufwändig gearbeitete Roben aus Seide, Samt oder Taft, die Gesichter mit Schönheitspflästerchen und die Frisuren mit Edelsteinen geschmückt. Clifford Murdoch hatte zu einem zwanglosen Abendessen geladen, das hier schien Maureen aber mehr wie ein Empfang beim König höchstpersönlich anzumuten.
Als sich die Gäste im Speisezimmer versammelt hatten, schlich Maureen über die Hintertreppe in den Garten hinaus. Der Abend war mild und klar, und Maureen lechzte nach frischer Luft. Sie umrundete den Westflügel, der den Rosengarten an einer Seite begrenzte, als plötzlich ein Mann vor ihr auftauchte, mit dem sie beinahe zusammenprallte.
»Es tut mir leid, Madam.« Er verbeugte sich tief vor ihr. »Ich habe nicht erwartet, jemanden im Garten anzutreffen.«
Maureen, die sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte, musterte in der Dämmerung den Fremden verstohlen. Es handelte sich um einen der Gäste. Von ihrem Fenster hatte sie seine Ankunft beobachtet, denn seine Kutsche war schlicht und einfach und nur mit zwei Pferden ausgestattet gewesen. Maureen musterte seinen hohen, schlanken Wuchs und seine dunklen, lockigen Haare. Er schien noch recht jung zu sein, kaum älter als zwanzig, schätzte sie, strahlte aber schon eine gewisse Würde aus, die sich hauptsächlich in seinem überlegenen, spöttischen Blick widerspiegelte. Entgegen der Mode trug er keine Perücke und war mit einer schlichten dunklen Kniehose, grauen Strümpfen und einem gleichfarbigen Gehrock bekleidet. Maureen wunderte sich über einen solchen schlichten Gast in Murdochs Gesellschaft.
»Schmeckt es Euch nicht, oder warum speist Ihr nicht mit den anderen?«, fragte sie direkt.
»Ich verspüre in der Tat keinen großen Appetit. In den letzten Jahren war ich an karge Rationen gewöhnt, wenn es überhaupt etwas zu essen gab. Die Mengen, die unser guter Gastgeber auffahren lässt, erschrecken mich regelrecht. Mein Fehlen bei Tisch wird ohnehin nicht zur Kenntnis genommen.«
Etwas in seiner Aussprache ließ Maureen stutzen.
»Haltet mich bitte
Weitere Kostenlose Bücher