Im Schatten der Vergeltung
nicht für neugierig, Ihr seid aber kein Engländer, nicht wahr?«
Der junge Mann lächelte, was seinem frischen Gesicht einen Anflug von Melancholie gab.
»Nein, ich komme aus Schottland. Ich weile nur zu einem kurzen Besuch in Englands Süden.«
»Es war mir nicht bekannt, dass Murdoch freundschaftlichen Umgang mit Schotten pflegt«, platzte Maureen überrascht heraus. »O verzeiht, ich hätte das nicht sagen dürfen!«
Der Mann lächelte weiterhin verständnisvoll. »Das ist eine lange Geschichte mit der ich Euch als Gast dieser Gesellschaft nicht langweilen möchte.«
Abwehrend hob Maureen die Hände. »Sie irren sich, Sir. Ich bin kein Gast, sondern nur das Kindermädchen.«
»Oh!« Der Mann tat einen Schritt nach hinten. »Dann darf ich Euch vielleicht bitten, mir die Gärten zu zeigen? Ich verspüre keinen Drang, zu der Gesellschaft zurückzukehren, und Euch wird auch niemand vermissen, oder irre ich mich?«
Über die ungewöhnliche Bitte überrascht, mit einer einfachen Bediensteten einen Spaziergang machen zu wollen, antwortete Maureen: »Susan und Edmund schlafen zwar und ja, meine Dienste sind heute Abend nicht mehr von Nöten, ist es aber nicht ungehörig, wenn Sie der Gesellschaft noch länger fernbleiben? Ich glaube nicht, dass Mylord erfreut wäre, wenn er uns hier zusammen sehen würde.«
Der Mann lächelte und verbeugte sich erneut.
»Wie Ihr bin ich keine hochgestellte Persönlichkeit, im Gegenteil. Ihr müsst entschuldigen, dass ich mich bisher nicht vorgestellt habe. Es ist unverzeihlich! Mein Name lautet Burns. Robert Burns aus Ayrshire.«
Er reichte ihr die Hand hin, in die Maureen herzhaft einschlug. Die Geste war typisch schottisch. Kein englischer Gentleman hätte einer Dame die Hand geschüttelt, und Maureens Sympathien flogen dem jungen Mann zu.
»Maureen Mowat aus Cornwall. Durch den Tod meines Mannes bin ich gezwungen, meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.«
Die Lüge kam Maureen inzwischen so leicht über die Lippen, dass sie mitunter selbst an den Tod ihres Mannes glaubte.
»Das tut mir leid.«
»Was? Dass ich arbeiten muss? Dann müsstet Ihr neunzig Prozent der Bevölkerung bemitleiden«, erwiderte Maureen mit einem Schmunzeln.
Burns stutzte, dann erwiderte er ihr Lächeln.
»Ich sehe schon, Ihr seid eine nicht alltägliche Frau, wenn Ihr mir diese Aussage zugestehen wollt. Natürlich bedauere ich, dass Ihr so jung bereits verwitwet seid, ich bin aber überzeugt, eine Frau wie Ihr wird nicht lange allein bleiben. Sofern Ihr gewillt seid, eine neue Verbindung einzugehen.«
»Ihr sprecht sehr offen«, bemerkte Maureen erstaunt.
»Vielleicht weil ich Schotte bin? Wir unterliegen nicht den in England herrschenden strengen Konventionen. Schotten sagen und tun seit Jahrhunderten das, was sie für richtig halten.«
Einen Moment lang war Maureen versucht, ihrer neuen Bekanntschaft zu erzählen, sie selbst stamme ebenfalls aus Schottland. Der Fremde wirkte trotz seiner Jugend reifer als manch älterer Mann, dann jedoch rief sie sich zur Ordnung. Es war nicht die Zeit, um Freundschaften zu schließen. Freunde würden einen irgendwann enttäuschen und verletzen. Es war besser, keine Gefühle für irgendjemanden zu entwickeln, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Aus diesem Grund sagte Maureen mit kühler Stimme, die Robert Burns sichtlich verwirrte: »Aufgrund dieser mir bekannten Tatsache wundert es mich noch mehr, Euch in Gesellschaft Murdochs zu sehen.«
Robert Burns zögerte einen Moment, dann antwortete er ehrlich: »In erster Linie bin ich Gast von Lady Louisa. Ich hatte das Glück, ihre Eltern vor drei Wochen auf einer Gesellschaft kennenzulernen. So wurde ich in dieses Haus eingeführt und genieße die Gastfreundschaft der bezaubernden und strahlenden Lady Murdoch.«
»Höre ich eine Verehrung für die junge Lady in Euren Worten?«, fragte Maureen direkt und ließ ihn nicht aus den Augen. Ein leichter Rotschimmer, trotz des fahlen Lichtes deutlich zu erkennen, überzog seine Wangen.
»Ihr dürft mich nicht falsch verstehen! Lady Louisa ist eine perfekte Muse. Durch sie werde ich zu ausgefallenen Texten inspiriert.«
»Muse?«, wiederholte Maureen. »Ihr seid ein Künstler? Was schreibt Ihr? Reime? Verse? Oder gar Theaterstücke?«
Gegen ihren Willen war Maureen von Robert Burns fasziniert. Nie zuvor war sie einem Künstler begegnet. Sie liebte und verehrte die Werke John Drydens, und bewunderte Alexander Pope, der das Versepos in England zu seiner Blüte geführt
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