Im Schatten der Vergeltung
hatte. Popes bissige Satiren konnte Maureen beinahe vollständig auswendig zitieren. Mit dieser Meinung war sie bei Lady Esther und ihren ganzen Damenbekannten auf eine Mauer der Ablehnung gestoßen, denn Popes Werke waren nicht gesellschaftsfähig.
»Verse! Gedichte! Das ist ein Zeichen von ausgeprägter Unmännlichkeit!«, erinnerte sich Maureen an Esther Linnleys Worte. »Durch schmeichelnde und doch so trügerische Worte wird naiven Mädchen und Frauen eine Welt vorgegaukelt, deren Vollkommenheit sie niemals werden entdecken können.«
Robert Burns lächelte verlegen und beantwortete Maureens Frage: »Ich versuche mich an einfachen Versen. Hauptsächlich Oden über meine schottische Heimat. Als Vorbild dient mir der Edinburgher Dichter Robert Fergusson. Allerdings ist die Poesie eine brotlose Kunst. Somit bin ich gezwungen, etwas zu tun, damit ich ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch habe. Demnächst werde ich eine Stellung in einer Flachsspinnerei in Irvine annehmen. Der Ausflug in den Süden ist nur ein kurzes Intermezzo.«
»Hm ...«, murmelte Maureen nachdenklich. »Ich würde mich glücklich schätzen, eines Eurer Werke lesen zu dürfen.«
In seinen Augen glühte der Funke des Stolzes. Bevor er etwas erwidern konnte, hörten sie vom Haus her einen Ruf:
»Burns! Wo, zum Teufel, stecken Sie?«
»Murdoch!« Der junge Mann seufzte. »Ich denke, ich sollte besser zurückkehren.«
Maureen nickte und blickte seiner schlanken Gestalt, die mit großen, elastischen Schritten durch den Garten eilte, nach. Eine Idee wuchs in ihrem Kopf. Waghalsig, verrückt und vielleicht völlig abwegig, es wäre aber einen Versuch wert ...
K onzentriert, die schmale Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, arrangierte Louisa einen Strauß Hortensien in der Vase. Prüfend trat sie einige Schritte zurück, musterte kritisch die Anordnung, rückte zwei Blumen zurecht und richtete die Vase auf die Kommode in der Halle aus. In diesem Moment stürmte Susan herein, dicht gefolgt von einer atemlosen Maureen, die das Mädchen erfolglos zu fangen versucht hatte.
»Hurra, ich habe gewonnen!«, rief Susan triumphierend und zupfte an Louisas Rock. »Mama, Maureen ist sehr langsam. Sie kann mich nie fangen.«
Gedankenverloren strich Louisa ihrer Tochter über das zerzauste Haar. »Ja, ja.«
»Mylady.« Maureen knickste und überreichte Louisa einen weißen Zettel. »Das wurde für Euch abgegeben.«
Erstaunt griff Louisa nach dem Papier und entfaltete es. Schnell huschten ihre Augen über die wenigen Zeilen, woraufhin sie errötete und nervös das Blatt in der Hand zerknüllte.
»Es ist gut«, sagte sie rasch. »Sollten Sie Susan nicht umkleiden? Ihr Kleid ist schmutzig.«
»Sofort, Mylady.«
Ein weiterer Knicks, den Blick zu Boden gesenkt, damit Louisa nicht das freudige Funkeln in Maureens Augen sah. Sie wusste genau, was auf dem Zettel stand: Meine Liebe ist wie eine rote, rote Rose ...
Die erste Zeile eines Liebesliedes, geschrieben von Robert Burns. Der junge Dichter weilte noch immer in Murdoch Hall, und Maureen war mehrmals in den Genuss gekommen, die einfachen, jedoch melodiösen Verse und Balladen aus seinem Mund zu hören. Sie hatte ein gutes Gedächtnis. In ihrem Zimmer schrieb sie Wort für Wort, Zeile für Zeile auf. Das Liebeslied der roten Rose war bereits die dritte Botschaft, die sie Lady Louisa überbrachte. Selbstverständlich waren die Nachrichten nicht mit einem Namen unterzeichnet. Jeder, der Robert Burns bei den gemeinsamen Abendessen beobachtete, konnte aber erkennen, dass sein junges, ungestümes Herz für die schöne Frau des Hausherrn entflammt war. Selbst der schüchternen Louisa war seine Bewunderung nicht verborgen geblieben, und sie fühlte sich geschmeichelt. Sie wusste allerdings, wo ihr Platz war und verbot sich jeglichen Gedanken an den jungen Schotten. Obwohl Louisa über die Eskapaden ihres Mannes Bescheid wusste und er sie roh, oft sogar grob behandelte, war Louisa eine pflichtbewusste und treue Ehefrau. So war sie von ihrer Mutter erzogen worden, so hatte diese es ihr in ihrer eigenen Ehe vorgelebt, und so hatte Louisa es vor dem Traualter geschworen. Die kleine, romantische, selbstverständlich völlig platonische Beziehung zu einem jungen Mann, der ihr im Alter näher stand als Murdoch, würzte ihr Leben und gab ihren Wangen frische Farbe, die sie gesund und blühend aussehen ließ. Deswegen bedachte sie Robert Burns mit warmen, freundlichen Blicken, schenkte ihm hier und da ein
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