Im Schatten der Vergeltung
sagten, Sie hätten keine Verwandten«, fragte Louisa. »Dann stehen Sie ganz allein auf der Welt?«
»Ja, Mylady, ich bin Witwe und verlor zu allem Unglück auch noch meine einzige Tochter.«
Sie sagte es so ruhig, als würden sie über das Wetter plaudern, Louisa bemerkte jedoch den traurigen Untertor. Unwillkürlich empfand sie Mitleid, aber auch Zuneigung zu der Frau. Überlegend zog sie die Unterlippe zwischen die Zähne. Konnte sie hier und jetzt die Entscheidung fällen, die Frau anzustellen? Oder war es besser, Cliffords Zustimmung einzuholen? Sie hatte keine Ahnung, wann er aus London zurückkehren würde. Die Aussicht, den Einfluss von Clarice zu schmälern und Edmund in die Obhut dieser Frau zu geben, war zu verlockend. Nun, sie würde Clifford einen Brief schreiben und auf seine Reaktion warten. So lange würde die Frau beweisen können, ob sie ihrer Arbeit zufriedenstellend nachkam.
»Ich will es mit Ihnen versuchen«, sagte sie. »Unsere Tochter ist ein liebes, aber auch eigenwilliges Mädchen. Sie braucht eine starke Hand und jemanden, der sich ständig mit ihr beschäftigt. Ich selbst fühle mich dazu leider nicht in der Lage.«
Mit wissendem Blick wanderten die Augen der Frau über Louisas noch schlanke Taille.
»Ich verstehe«, sagte sie schlicht.
Louisa schnappte nach Luft. »Woher wissen Sie es?«, fragte sie fassungslos.
Zum ersten Mal lächelte die Frau.
»Es steht einer Frau in den Augen, Mylady, lange, bevor andere Anzeichen zu bemerken sind. Schwangere Frauen strahlen ein Leuchten aus, das mit nichts zu vergleichen ist.«
Louisa war überrascht. Schwangerschaft und Geburt waren Themen, die zwar existent waren, über die man jedoch nur flüsternd hinter vorgehaltener Hand tuschelte. Dass eine Fremde so offen und ohne Scheu darüber sprach, beeindruckte und verwirrte Louisa zugleich. Um das Thema zu wechseln, rief sie nach dem Diener und wies ihn an, der Frau ein entsprechendes Zimmer zuzuweisen. Als das neue Kindermädchen schon an der Terrassentür war, fiel Louisa noch etwas Wichtiges ein:
»Wie ist eigentlich Ihr Name?«
Die Frau wandte sich um und sah ihr fest in die Augen.
»Maureen. Mein Name ist Maureen Mowat.«
I n den folgenden Tagen stellte sich Louisa mehr als einmal die Frage, ob es richtig war, die seltsame Frau einzustellen. Nicht, dass Maureen Mowat sich nicht mit den Kindern verstand, im Gegenteil. Von der ersten Sekunde an hatte Susan Zuneigung zu der Erzieherin gefasst, und mit Edmund brachte Maureen eine Geduld auf, zu der Louisa selbst niemals in der Lage gewesen war. Es war aber etwas an Maureen, das Louisa seltsam erschien. Ihr gegenüber war sie stets höflich und freundlich, trotzdem hatte Louisa das Gefühl, dass Maureen nicht den nötigen Respekt vor ihr empfand, wobei sie sich ganz anders als Clarice verhielt. Maureen befolgte zwar ordnungsgemäß alle Anweisung, sie hatte aber die Angewohnheit, bei Gesprächen ihrem Gegenüber fest in die Augen zu sehen. Dabei war ihr Blick stahlhart, und Louisa meinte, Maureen würde ihr direkt auf den Grund ihrer Seele sehen, und wandte den Blick immer ab. Clarice war vorlaut und unverschämt, Maureen hingegen gab Louisa das Gefühl, nicht ihre Herrin zu sein, sondern jemand, der viele Stufen unter ihr stand. Sie verachtet mich, dachte Louisa, und war verwirrt, weil sie sich zwar in Maureens Gesellschaft unwohl fühlte, trotzdem aber regelmäßig deren Gesellschaft suchte. Louisa konnte sich nicht erklären, warum sie sich von der Frau beinahe magisch angezogen fühlte. Über ihre Vergangenheit sprach Maureen nie. Wenn Louisa sie nach ihrer Herkunft oder Familie fragte, dann antwortete sie nur schlicht: »Mylady, es ist zu schmerzhaft darüber zu sprechen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das respektieren würden.«
»Sie ist nur ein Dienstbote«, sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild. »Wahrscheinlich bildest du dir das alles nur ein.«
Wenn auch eine Angestellte mit einer zweifelsohne guten Erziehung. Louisa war überzeugt, dass Maureen von edler Herkunft, durch tragische Schicksalsschläge nun aber gezwungen war, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Je länger Maureen jedoch im Haus weilte, desto unterlegener fühlte Louisa sich ihr und wünschte sich gleichzeitig, die Freundschaft der seltsamen Frau erringen zu können. Nun, früher oder später würde ihr Mann aus London zurückkehren. Sie würde ihm die Entscheidung überlassen, ob Maureen Mowat weiter in ihrem Haushalt verbleiben konnte oder wieder
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