Im Schatten der Vergeltung
der Dienerschaft nie als großherziger und gütiger Herr gezeigt hatte, siegte jetzt die Loyalität des Personals. Schließlich diente man seit vielen Jahren, einige sogar seit Jahrzehnten, in diesem Haus. Golham und die Köchin hatten bereits unter Murdochs Vater auf Murdoch Hall gearbeitet. Weder Golham, Harris noch die Köchin wollten den Tod Murdochs. Selbst Maureen war daran gelegen, dass er überlebte. Barg er doch den Schlüssel zu ihrer weiteren Rache in sich. Ein Gedanke schoss Maureen durch den Kopf.
»Wird sein Gedächtnis beeinträchtigt sein?«, fragte sie und erntete prompt einen missbilligenden Blick Golhams, der ihre Anwesenheit erst jetzt bemerkte.
»Mrs Mowat, was machen Sie hier in der Küche? Ist Ihr Platz nicht bei den Kindern?«
»Clarice wacht bei Susan und Edward, sie schlafen friedlich«, antwortete Maureen. »Meine Sorge um Mylord Murdoch ließ mich nicht zur Ruhe kommen.«
»So, so ...« Golham räusperte sich und sah den Arzt fragend an, der sich die müden, rotgeränderten Augen rieb.
»Das ist noch nicht abzusehen«, beantwortete Dr. Bellamy Maureens Frage. »Der junge Soldat in Frankreich hatte sein Gedächtnis nicht verloren. Allerdings wurde er, und das wird Mylord Murdoch leider auch nicht erspart bleiben, von unerträglichen Kopfschmerzen gepeinigt. Sie kamen und gingen, am Anfang seltener, bis sie schließlich nicht mehr aufhörten. Ich erinnere mich gut daran, dass mich der arme Kerl um eine Pistole anflehte, damit er seinem armseligen, schmerzerfüllten Leben ein Ende setzen konnte.«
»Was ist aus ihm geworden?«, flüsterte die Köchin bang.
Doktor Bellamy zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht. Ich verließ das Lazarett nach vier Monaten, da krümmte sich der arme Kerl noch vor Schmerzen.«
»Und Mylord Murdoch steht das gleiche Schicksal bevor?«, fragte Maureen. Sie empfand kein Mitleid. Ja, er sollte leiden! Den Rest seines Lebens, das hoffentlich noch lange währte, sollte er leiden! Genau wie Laura ihr Leben lang gelitten hatte.
»Das ist leider noch nicht alles«, sagte der Arzt nun und man merkte, wie schwer ihm die Worte fielen. »Die Kugel hat Mylord Murdochs Augen zerstört. Er ist vollständig erblindet.« Der Arzt machte eine Pause und seufzte schwer, dann sah er langsam in die Runde und fuhr fort: »Blind, zu völliger Bewegungsunfähigkeit verdammt und von höllischen Schmerzen geplagt. Manchmal verfluche ich meinen Eid, der mich daran bindet, Patienten unter allen Umständen am Leben zu erhalten.«
Z uerst war es nur ein leises, kaum vernehmbares Tappen, das durch den Raum schlich und langsam, aber unaufhaltsam näher kam. Murdoch konnte das Geräusch so lange nicht einordnen, bis er etwas Warmes und Weiches auf seiner Brust spürte. Etwas kitzelte an seiner Nase, und er meinte deutlich den schwarzen, breiten Kopf eines Katers vor seinem Gesicht zu sehen. Beruhigt atmete er auf, aber dann öffnete sich das rosa Mäulchen des Tieres und ein wildes Brüllen entrang sich seiner Kehle. Es wurde immer lauter und das Maul zu einer roten, klaffenden Hölle, in der spitze Zähne nach Blut lechzten. Sein Blut! Das Maul kam immer näher. Verzweifelt versuchte Murdoch die Arme zu heben, um sein Gesicht zu schützen, er konnte sich aber nicht bewegen. Er war gelähmt. Gelähmt und hilflos der Bestie ausgeliefert. Grüngelb, funkelnde Augen starrten ihn an, und er hatte unsägliche Schmerzen. Endlich konnte Murdoch schreien. Er schrie, wie er nie zuvor in seinem Leben geschrien hatte. Wenn nur die Bestie und mit ihr die unsäglichen Schmerzen verschwinden würden! Mit einem Satz war Harris neben seinem Bett und verscheuchte den Küchenkater Straw, der im Begriff war, es sich auf Mylords Brust gemütlich zu machen.
»Verflixt, wie kommt das Tier hier herein?«, brummte Harris. Mit einem Blick auf den schreienden Murdoch, der wild an seinen Fesseln zerrte, rief er. »Joshua! Wo zum Teufel steckst du? Der Herr braucht seine Medizin.«
Ein großer, untersetzter Mann mit einem Kreuz, so breit wie ein Kleiderschrank, trat ein. Als Sohn eines Tagelöhners hatte er nie die Schule besucht und sich bisher mehr schlecht als recht durchs Leben geschlagen. Seine ganze Stärke steckte in seinem Körper, während sein Gehirn nur träge und schwerfällig arbeitete. Joshua Dearks war aber der Einzige in der Umgebung, der über genügend Kraft verfügte, Murdoch festzuhalten, und er packte ohne Skrupel hart und unnachgiebig zu. Mit festem Griff drückte er Murdochs
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