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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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wieder verlassen, sobald diese in der Lage war zu reisen. Lady Brandon hatte auch veranlasst, dass Clarice ihre Habseligkeiten packte und die Amme bei Nacht und Nebel aus dem Haus geworfen, denn unter Tränen hatte Louisa ihrer Mutter alles über die Beziehung zwischen Murdoch und Clarice erzählt.
    »Mylady, soll ich die Kinder mit nach oben nehmen?«, fragte Maureen.
    »Ja, meine Tochter sieht müde aus. Ich bleibe den Tag über bei ihr«, entgegnete Lady Brandon, ohne Maureen einen Blick zu schenken.
    Maureen trat an Louisas Seite. Die scheinbar idyllische Szene trügte, denn Louisas Augen waren stumpf und ohne Glanz. Sie zeigte keine Reaktion, als Maureen leise fragte: »Soll ich Eure Kissen aufschütteln, damit Ihr es bequemer habt?«
    Louisa schüttelte stumm den Kopf, so nahm Maureen den schlafenden Edmund in ihre Arme. Auch jetzt reagierte Louisa nicht. Ihr Blick hing starr auf einem Punkt irgendwo an der Zimmerdecke. Sie steht unter Schock, hatte der Arzt gesagt. Körperlich gesehen war Louisa zwar wieder genesen und auch für das ungeborene Leben in ihrem Bauch bestand keine Gefahr mehr, niemand konnte jedoch sagen, wann sie wieder zu sich selbst zurückfinden würde. Maureen nickte Lady Brandon zu und brachte Edmund und Susan ins Kinderzimmer. Der kleine Kerl erwachte, gluckste vergnügt, als ihn Maureen in die Wiege legte und blinzelte mit seinen Augen, aber kaum hatte sie ihn zugedeckt, schlief er wieder ein. Susan stand neben der Wiege und betrachtete ihren Bruder.
    »Wenn Vater stirbt, gehört ihm alles, nicht wahr?«, fragte sie erstaunlich altklug. »Ich bin ja nur ein Mädchen, und Mädchen können nichts erben.«
    Maureen breitete die Arme aus, und das Mädchen flüchtete sich an ihre Brust. Susan war alt genug, um zu verstehen, wie nahe ihr Vater dem Tod war. In den Wirren der letzten Tage hatte Susan mehr von dem Gerede des Personals aufgeschnappt, als gut für sie war. Darunter war zwar viel dummes Zeug, aber auch manche Wahrheit gewesen.
    »Es wird sich alles finden, mein Mädchen«, murmelte Maureen.
    Susan steckte sich den rechten Daumen in den Mund und runzelte nachdenklich die Stirn.
    »Ist es wahr, dass wir mit Großmutter fortgehen werden, sobald Mama wieder gesund ist?«, nuschelte sie. »Wer wird dann hier in dem Haus wohnen?«
    Maureen gab keine Antwort, denn in diesem Moment sah sie beim Blick aus dem Fenster Harris und Joshua durch den Garten gehen. Ihr Herz tat vor Aufregung einen Sprung. Sanft schob sie Susan von sich.
    »Ich muss dich kurz allein lassen. Du bist ja schon ein großes Mädchen und kannst ein paar Minuten auf deinen kleinen Bruder aufpassen, ja?«
    Susan nickte ernsthaft, und ihre Augen leuchteten über die ihr übertragene Aufgabe.
    W ar das wirklich noch ein Mensch, der eingesperrt in diesem schrecklichen Gestell im Bett lag? Mit angehaltenem Atem trat Maureen neben den Körper, der zu Murdoch gehörte. Sie hatte in der Küche Harris über den Käfig, der verhindern sollte, dass Murdoch den Kopf bewegte, flüstern hören, als sie jetzt aber den starken, kräftigen Körper an die Bettstatt gefesselt sah, entfuhr ihr ein Schrei des Entsetzens. Über seine Augen war ein Tuch gebreitet worden, und Maureen wagte nicht, es anzuheben. Sie wollte nicht in die leeren Augenhöhlen sehen, die niemals wieder das Sonnenlicht erblicken würden. Einzig das regelmäßige Heben und Senken der Brust zeigte, dass hier ein lebender Mensch lag. Schnell dachte Maureen daran, wie sich dieser Mensch mit lüsternem Blick über Laura gebeugt hatte und dann ...
    Ihr Mitgefühl schwand. Murdoch hatte es nicht anders verdient! Ja, er sollte leben, noch lange mit quälenden Schmerzen dahinvegetieren und tausendfach für seine Tat büßen. Was kein Richter in diesem Land getan hätte, hatte Gott in die Hand genommen und den Verbrecher auf seine eigene Art und Weise zur Rechenschaft gezogen. Sie bedauerte nur, dass Laura es nicht mehr erfahren würde.
    Auf einem silbernen Tablett auf der Kommode stand eine Glasflasche. Maureen entfernte den Stöpsel und schnupperte an der kastanienbraunen Flüssigkeit. Sie erkannte sofort das Opium, hatte sie es doch selbst wochenlang ihrer Mutter eingeflößt. Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft. Sie musste mit Murdoch sprechen! Wie konnte sie das, wenn der bullige Pfleger das Zimmer erst verließ, wenn sein Herr im tiefen Schlaf lag? Die Bettstatt in der Ecke des Zimmers ließ darauf schließen, dass Joshua auch seine Nächte in Murdochs Zimmer verbrachte.

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