Im Schatten der Vergeltung
es Louisa? Bist du endlich zu mir gekommen! Louisa ... ich ...«
Er brach ab, und Maureen wich einen Schritt zurück. Dabei raschelte ihr Rock und Murdochs Finger begannen wieder unruhig zu zucken.
»Louisa, ich weiß doch, dass du da bist! Warum sagst du nichts? Wo ist Joshua? Ich brauche meine Medizin. Bitte! Mein Kopf ... es tut so weh.«
Maureen schwieg und wagte kaum zu atmen. Seit Tagen hatte sie auf diesen Augenblick gewartet, jetzt wusste sie jedoch nicht, was sie sagen und wie sie beginnen sollte. Am liebsten hätte sie Murdoch all ihre Wut und Verachtung ins zerstörte Gesicht geschleudert, aber würde sie auf diesem Weg die Namen der anderen Männer erfahren? Eher wohl nicht.
»Louisa, ich ... viele Fehler ... Es geht zu Ende mit mir.«
Obwohl Murdochs Stimme stockend war, klang sie erstaunlich klar. In seinem Körper steckte immer noch eine Menge Kraft, denn er zog und zerrte an den Handfesseln, die sich zu Maureens Entsetzen zu lockern begannen. Sie hatte jetzt nur eine Möglichkeit!
Z u Maureens Erleichterung weilte Lady Brandon nicht am Bett ihrer Tochter. Bereits in ihr Nachtgewand gekleidet, die üppigen Haare unter einer Haube verborgen, lag Louisa in den Kissen, und ihre Augen starrten erneut ausdruckslos zur Wand. Maureen setzte sich auf die Bettkante und nahm Louisas Hand.
»Mylady, Euer Mann verlangt nach Euch«, sagte sie leise. Louisas Augen weiteten sich erschrocken, sofort drückte sie sich tiefer in die Kissen. »Ich glaube, er möchte Euch etwas sagen«, fuhr Maureen fort.
»Nein, nein! Ich will ihn niemals wiedersehen!« Louisas Augen wurden feucht, und zwei Tränen rollten über ihre fahlen Wangen. »Ich möchte von hier fort!«
»Mylady reißt Euch zusammen! Es ist furchtbar, was geschehen ist, Euch und Eurem ungeborenen Kind geht es aber gut, und Ihr müsst auch an Eure anderen Kinder denken«, erwiderte Maureen eindringlich. »Ihr badet in Selbstmitleid, dabei haben Edmund und Susan bereits den Vater verloren. Sie brauchen jetzt Eure ganze Liebe und Zuneigung.«
»Du hast niemals Respekt vor mir gehabt, nicht wahr?«, stellte Louisa fest. Zu Maureens Erstaunen war ihr Blick klar und ihre Stimme zitterte nur leicht. »Du bist es nicht gewohnt, anderen Menschen zu dienen. Das habe ich sofort bemerkt.«
Unwillig schüttelte Maureen den Kopf. Die Zeit drängte, sie wusste nicht, wann Joshua wieder erwachen oder Murdochs Schmerzen so stark werden würden, dass ein Gespräch nicht mehr möglich war.
»Ihr müsst mit ihm sprechen!«, beschwor sie Louisa und drückte ihre Hand. »Jetzt habt Ihr die Gelegenheit, ihm all das sagen, das Euch seit Jahren aufs Herz drückt. Man kann nicht immer vor Problemen weglaufen und sie ignorieren.«
»Nein! Er ... macht mir Angst.«
»Es gibt keinen Grund, Euch länger vor Eurem Mann zu fürchten. Er ist blind und ans Bett gefesselt. Er kann Euch nichts mehr tun. Niemals wieder! Hört Ihr?« Schwach nickte Louisa, in ihrem Blick lag aber Zweifel. »Zeigt ihm einmal, dass Ihr über Stolz und ein Rückgrat verfügt. Ihr müsst Euch ihm stellen, damit Ihr eines Tages unbelastet ein neues Leben beginnen könnt.«
»Ich weiß nicht ... Vielleicht könnte meine Mutter ...?«
»Louisa, tu es für dich selbst!«, entfuhr es Maureen, ungeachtet, dass sie jeglichen Respekt vor ihrer Herrin vermissen ließ. Louisa war so zart und schwach, es war ihr, als spräche sie zu ihrer eigenen Tochter.
»Ja«, murmelte sie schwach, »vielleicht sollte ich ihn wirklich sehen. Aber was soll ich ihm sagen?«
»Das wird sich zeigen«, antwortete Maureen und half Louisa, sich aufzurichten und in den Morgenmantel. Schwer auf Maureens Arm gestützt gelangten sie über den Flur zu Murdochs Zimmer, in dessen Ecke Joshua immer noch fest schlief. Ab und zu entschlüpfte seinem Mund ein Schnarcher, er regte sich aber nicht. Louisa schenkte dem betäubten Pfleger keine Beachtung, ihr Blick hing wie hypnotisiert an der Gestalt, die einst ihr überlegener und tyrannischer Ehemann gewesen war.
Murdoch hatte das Öffnen der Tür gehört.
»Louisa?«, fragte er erneut. »Bist du wieder hier? Bitte, sag doch etwas!«
Es war das erste Mal, dass Louisa ihn um etwas bitten hörte. Zögernd trat sie einen Schritt näher.
»Clifford?«
In ihrer Stimme lag Erstaunen, als könne sie es nicht glauben, dass es wirklich keinen Grund mehr gab, sich vor ihm zu fürchten. Dieser blinde, gefesselte Mann mit dem dunklen Tuch über den Augen würde niemals wieder die Hand gegen sie
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