Im Schatten der Vergeltung
machte ihn zweifelsohne interessant. Als Maureen ihn selbstsicher und überzeugend auf dem Rednerpodest stehen sah – sie konnte später nicht mehr sagen, über was er eigentlich gesprochen hatte – erschien ihr die Vorstellung, dieser Mann wäre ein gemeiner Verbrecher, absurd. Willard Foster war durch und durch ein Gentleman. Vielleicht hatte sie den Falschen ausfindig gemacht? Oder, und daran wagte Maureen gar nicht zu denken, hatte ihr Murdoch einen falschen Namen genannt? Irgendeinen, der ihm gerade eingefallen war, nur um eine Antwort zu geben. Sie hatte keinen Beweis, ob der Abgeordnete Sir Willard Foster mit dem Offizier der englischen Armee, die 1746 in Schottland stationiert gewesen war, übereinstimmte. Ein Gefühl von Ohnmacht mischte sich mit Zorn, weil Maureen keine Vorstellung hatte, was sie jetzt tun sollte. Bei Murdoch hatte sie sich in die Familie einschleichen können, Foster war jedoch Witwer und lebte in einem eleganten Haus mit mehr als genug Angestellten. Aber es würde – es musste! – einen Weg geben, um in seine Nähe zu gelangen und zu erfahren, ob er einer der Schuldigen war.
War es Zufall oder Schicksal, als Maureen noch am Tag der Versammlung unachtsam vor eine Kutsche trat? Ihre Gedanken hatten sich um Foster gedreht, daher hatte sie das Nahen des Gefährts nicht bemerkt. Der Kutscher konnte die Pferde im letzten Moment zum Stehen bringen, Maureen stürzte jedoch und erlitt Hautabschürfungen an den Händen und eine kleine Platzwunde an der Stirn. In der Kutsche hatte niemand anderes als Königin Charlotte Sophia in Begleitung zweier Hofdamen gesessen. Die Königin war mehr als bekümmert, denn sie verfügte über ein zartes Gemüt, und sie hatte darauf bestanden, dass Maureen sie in den St. James Palast begleitete.
»Es ist meine Pflicht, mich um Eure Wunden zu kümmern!«, hatte Königin Charlotte gerufen und dabei theatralisch die Hände gerungen. »Es war schließlich mein unachtsamer Kutscher, der Euch beinahe das Leben gekostet hätte.«
Maureen war sicher, wenn sie in einfacher Kleidung vor die Kutsche gelaufen wäre, hätte sich kein Mensch um sie gekümmert. Von Philipps Geld hatte sie sich jedoch für London einige elegante Kleider schneidern lassen, die sie als Lady auswiesen.
Während der halbstündigen Fahrt in den Palast hatte Maureen genügend Zeit, sich eine plausible Geschichte auszudenken, zumal sie in dieser Beziehung inzwischen über umfangreiche Erfahrung verfügte. Obwohl sie mit Philipp seit Jahren nicht mehr in London gewesen war, wagte Maureen nicht, den Namen Trenance zu verwenden. Ihr Mann war eine bekannte Persönlichkeit, mit der sie lieber nicht in Verbindung gebracht werden wollte. Da sie auch nicht wusste, inwieweit Nachrichten aus Sussex in die Hauptstadt drangen, musste Maureen vermeiden, den Namen Mowat zu verwenden, damit sie niemand mit dem Kindermädchen von Murdoch Hall in Verbindung bringen konnte. Sie musste sich also eine neue Identität zulegen. Von Königin Charlotte nach ihrer Person befragt, antwortete sie daher überzeugend:
»Mein Name lautet Lady Sybil St. Cleer. Mein Mann und ich verbrachten die letzten zehn Jahre in Irland. Leider starb er vor ein paar Monaten, und ich kehrte nach England zurück, da mich in Irland alles an meinen geliebten Gatten erinnert.«
Wie von Maureen vorausgesehen, floss die Königin vor Mitleid beinahe über.
»Ihr habt im grausamen und düsteren Irland Euer Dasein fristen müssen! Wie schrecklich, ausgerechnet dort den Gatten zu verlieren. Ihr erlaubt, Mylady, dass ich Euch die nächsten Wochen ein wenig für diese Strapazen entschädige? Oder habt Ihr andere Verpflichtungen in London?«
Maureen beeilte sich zu versichern, sie habe keine Verwandten, verfüge allerdings über ein bescheidenes Einkommen, mit dem sie ihr Auskommen hatte. Fürsorglich hatte die Königin ihre Hand getätschelt.
»Aber meine Liebe! Wer so ausschaut wie Ihr und dazu noch über eine tadellose Erziehung und Charakter verfügt, wird mühelos ein neues Glück finden. Natürlich weiß ich, dass man den Tod eines Ehemanns lange nicht vergessen kann, Ihr müsst aber an Eure Zukunft denken. Wir Frauen sind nicht dazu geschaffen, ohne männlichen Schutz zu leben. Vielleicht findet sich am Hof eine passende Partie für Euch? Habt Ihr eigentlich Kinder?«
Maureen verneinte und konnte kaum fassen, dass die Königin von England sich ihr gerade als Kupplerin angeboten hatte. Maureen, zwischen Belustigung und Entsetzen schwankend,
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