Im Schatten der Vergeltung
Zwar diente sie nur einer wohlhabenden Kaufmannsfrau, aber Monja nutzte die folgenden Jahre, ihr Wissen ständig zu erweitern. Nach einem kurzen Intermezzo im Haus einer herrischen, ewig nörgelnden älteren Lady, zog Monja mit deren Tochter und ihrem Ehemann, einem Beamten des Hofes, in den St. James Palast. Hier stand sie nun seit beinahe zwei Jahren den Damen zur Verfügung, die als Gast ohne eigenes Personal im Palast weilten. Monja wusste, eines Tages würde sie heiraten und eine eigene Familie gründen, und der Mann, dem sie ihre Hand reichen würde, musste ihr ein gleichwertiges Leben, wie sie es jetzt führte, bieten können. Zwar würde kein Mitglied der Gentry jemals eine einfache Zofe heiraten, trotzdem hatte sie nicht vor, sich unter Wert zu verkaufen. Ein Butler sollte es schon sein, eventuell auch der Kammerdiener eines reichen Lords. Auf jeden Fall wollte Monja für den Rest ihres Lebens in einem herrschaftlichen Haus, in dem sie von schönen Dingen umgeben war, verbringen. Um dies zu erreichen, musste sie natürlich mit Kopf und Verstand kalkulieren, denn die Ehe war für Frauen nicht mehr als ein Geschäft. Wer heiratete heutzutage schon aus Liebe? Pah! Herzklopfen und weiche Knie waren vielleicht etwas für einfache Bauernmädchen, die nach der Hochzeit jedes Jahr ein Kind bekamen, von denen jedes zweite das Säuglingsalter nicht überlebte. Diese Frauen waren mit dreißig alt und verbraucht. So wollte und würde sie niemals enden! Sie hatte im Palast den unterschiedlichsten Frauen gedient, und dabei gelernt, wie oft die Damen der feinen Gesellschaft verschlagen, intrigant und strohdumm waren. Sie trugen elegante Kleider, teuren Schmuck und protzten mit dem Geld ihrer Ehemänner, die sie nicht aus Liebe, sondern aus Berechnung geheiratet hatten. Manchmal hatten sie auch heimliche Liebhaber. Wie sollte am Königshof auch Sitte, Anstand und Moral herrschen, wenn der junge Prinz selbst seine Finger von keinem Damenrock lassen konnte? Ihre derzeitige Herrin allerdings entsprach in keinem Punkt dem Bild, das Monja sich vom Adelsstand gemacht hatte. Sie war Witwe und gezwungen, auf eigenen Füßen zu stehen, allerdings hatte Monja den Eindruck gewonnen, dass Mylady sich wohl auch während ihrer Ehe nicht hatte viel sagen lassen. Auf jeden Fall hoffte sie, die Dame möge noch lange im Palast verweilen. Vielleicht konnte sie es auch schaffen, ganz in ihren Dienst aufgenommen zu werden? Diese Vorstellung versetzte Monja in Hochstimmung. Sie war sich sicher, Mylady schätzte nicht nur ihre Dienste, sondern sie auch als Mensch. Monja war für sie nicht nur ein nützlicher Gegenstand, den man bei Gebrauch aus der Ecke hervorholte. Sie würde alle Wünsche Myladys ohne zu hinterfragen bedingungslos erfüllen und versuchen, sich unentbehrlich zu machen.
»Speist Ihr heute Abend wieder mit Eurer Hoheit?«, fragte Monja, während sie das Feuer im Kamin schürte.
Den ersten Hunger gestillt, tupfte Maureen sich mit der Serviette die Lippen ab.
»Wahrscheinlich, denn heute ist Dienstag, und dienstags speisen wir meistens zusammen. Es ist mir allerdings nicht bekannt, ob ihm sein Gesundheitszustand erlaubt, seine Gemächer zu verlassen. Ich habe gehört, Seine Hoheit plagen seit Tagen heftige Kopfschmerzen.« Die er nicht hätte, wenn er dem Wein weniger zusprechen würde, fügte Maureen in Gedanken hinzu. Das war aber kein Thema, das man mit Dienstboten erörterte. »Du kannst mir für heute Abend das smaragdgrüne Kleid richten. Ich glaube, der Saum am rechten Ärmel ist eingerissen.«
»Ja, Madam, dann richte ich jetzt Euer Bad.«
Kaum hatte die Zofe den Raum verlassen, nutzte Maureen die Gelegenheit, sich ausgiebig im Bett zu recken und zu strecken. Sie hatte ruhig und traumlos geschlafen und fühlte sich erfrischt wie lange nicht mehr. Es hatte durchaus seine Vorteile, vermögend zu sein und zur Oberschicht zu gehören.
Nach Murdochs Tod war es für Maureen ein Leichtes gewesen, Willard Foster in London aufzuspüren. Die halbe Stadt feierte ihn immer noch als Held des Gordonaufstands. Im Herbst war Foster als Wahlsieger der Gemeinde Islington hervorgegangen, deren Interessen er seitdem konsequent im Parlament vertrat.
Zum ersten Mal sah Maureen Willard Foster bei einer öffentlichen Versammlung, kurz nach ihrer Ankunft in der Stadt. Sie war überrascht. Trotz seines Alters, er musste auf die sechzig zugehen, war sein Körper noch schlank und athletisch. Das dunkle, volle Haar, an den Schläfen ergraut,
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