Im Schatten der Vergeltung
stehen, drehte sich betont langsam um und deutete eine spöttische Verbeugung an.
»Alan McLaud, meine Gnädigste. Wenn Sie unbedingt zur Witwe gemacht werden möchten, dann schicken Sie Ihren Gatten ruhig zu mir.«
Im nächsten Moment war er im Gewirr der Closes, der schmalen Durchgänge zwischen den Häusern, verschwunden und ließ eine vor Zorn bebende Maureen zurück.
M aureen erhielt keine Gelegenheit, Philipp von ihrem Erlebnis mit dem unverschämten Fremden zu berichten, denn kaum hatte sie die Tür am Charlotte Square geöffnet, stand ihr Mann auch schon vor ihr. Nicht minder zornig als Maureen – allerdings aus ganz anderen Gründen.
»Wo warst du?«
Maureen sah mit Unbehagen, wie eine hervorgetretene Ader über seiner rechten Schläfe heftig pochte. Das war ein deutliches Zeichen seiner wütenden Erregung.
»Es tut mir leid, aber ich konnte einfach nicht länger warten«, versuchte sie sich zu verteidigen.
»Nicht länger warten? Du hast deine Eltern seit Jahren nicht mehr gesehen, wäre es da auf ein paar Stunden angekommen? Das ist kein Grund, bei Nacht und Nebel wie eine gewöhnliche Bäuerin in der Stadt herumzuschleichen. So benimmt sich keine Dame!« Wenn das Lady Esther wüsste, fügte Maureen im Stillen hinzu. Im selben Moment fuhr Philipp fort: »Wenn das Lady Esther wüsste! Sie wäre entrüstet, wie du dich über ihre Ratschläge hinwegsetzt.«
»Sie ist aber nicht hier und wird es nie erfahren.« Maureen presste beide Hände an ihre Schläfen, plötzlich bekam sie Kopfschmerzen. »Lady Esther! Immer wieder Lady Esther! Ich kann diesen Namen nicht mehr hören. Es kümmert dich anscheinend überhaupt nicht, wie es mir geht!«
Die Nachricht über den Tod ihres Vaters, und die unerfreuliche Begegnung mit dem ungehobelten Fremden hatten sie erschöpft. Solange Philipp doch stur und unversöhnlich blieb, würde sie nicht zugeben, wie schwach und hilflos sie sich fühlte. Darum warf sie den Kopf in den Nacken und sagte stolz:
»Du gibst mir ja gar keine Möglichkeit, dich um Entschuldigung zu bitten und mein Verhalten zu erklären.«
»Maureen, ich will doch nur dein Bestes.«
»Ich kann selbst entscheiden, was gut für mich ist und was nicht.« Ein starker Schmerz schoss ihr durch den Kopf, und sie kniff die Augen zusammen. »Ich bin müde. Heute habe ich keine Kraft mehr, um mich mit dir auseinanderzusetzen. Übrigens – mein Vater ist gestorben, und ich konnte in Erfahrung bringen, wo ich meine Mutter finden kann. Ich schätze, das interessiert dich aber kein bisschen.«
»Aber Maureen ...«
Sie winkte ab und ging mit langsamen Schritten die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Auf keinen Fall würde sie sich Philipp gegenüber anmerken lassen, wie sehr sie durch sein Unverständnis verletzt worden war.
» Warum kann ich euch nicht begleiten? Es ist doch meine Großmutter.«
Beleidigt zerbröselte Frederica eine Scheibe Toast zwischen ihren Fingern. Maureen legte eine Hand auf ihren Arm.
»Kleines, meine Mutter muss erst verkraften, mich nach all den Jahren wiederzusehen. Außerdem weiß ich gar nicht, in welcher Verfassung ich sie vorfinden werde. Dein Großvater ist erst kürzlich gestorben, das muss ein großer Schock für meine Mutter gewesen sein.«
»Was soll ich hier den ganzen Tag tun?«, nörgelte Frederica. »Papa erlaubt mir ja nicht einmal, allein auszugehen. Ich wäre besser zu Hause geblieben, da könnte ich mit George ausreiten. In Cornwall scheint bestimmt die Sonne, und es ist warm.«
Maureen dachte kurz nach, dann lächelte sie und schlug vor: »Wie wäre es, wenn du dir das kleine, nette Buch über Edinburgh anschaust, dass wir an der Grenze gekauft haben? Morgen werden wir uns die Stadt ansehen, und dann kannst du mir alles Wissenswerte erzählen.«
»Hm ...« Über diesen Vorschlag war Frederica wenig begeistert, andererseits lud das Wetter nicht zu einem Spaziergang ein. Dichter Nebel lag in den Straßen und es war empfindlich kühl. »Also gut«, gab sie nach. »Aber morgen möchte ich zur Burg gehen.«
Maureen nickte. »Natürlich, mein Liebling. Dein Vater und ich bleiben nicht lange aus. Wenn du etwas brauchst, bitte Jenny darum.«
Philipp wartete bereits in der Halle. Das gemeinsame Frühstück war in einer höflichen Atmosphäre verlaufen. Vor Frederica wollten Philipp und Maureen nicht streiten. Sie hoffte, die alte Frau würde recht haben, und sie würden Laura Mowat tatsächlich auf dem Friedhof finden können. Wegen des Nebels war Maureen froh, dass
Weitere Kostenlose Bücher