Im Schatten der Vergeltung
Philipp darauf bestanden hatte, mit einer Mietkutsche zum Greyfrairs Friedhof zu fahren. Außerdem war Maureen in banger Erwartung der bevorstehenden Begegnung schrecklich nervös. Sie vermochte kaum, ein Bein vor das andere zu setzen.
A uch wenn über siebzehn Jahre vergangen waren, erkannte Maureen ihre Mutter sofort wieder. Mit gefalteten Händen stand Laura Mowat vor einem frisch aufgeschütteten Grab mit einem schlichten Holzkreuz. Ihre zierliche Gestalt in den dunklen Kleidern war gebeugt, unter der schlichten Haube lugten aber Strähnen ihres roten Haares hervor, dass immer noch dicht und kräftig war.
Maureen gab Philipp mit einer Handbewegung zu verstehen zurückzubleiben, dann näherte sie sich langsam.
»Mutter ...« Ihre Stimme war dünn und unsicher. Sie räusperte sich und sagte dann lauter: »Mutter, es ... tut mir so leid. Ich wünschte, ich wäre früher gekommen.«
Laura Mowat sah auf. Ihre Augen weiteten sich erstaunt, und ungläubig schüttelte sie den Kopf.
»Maureen? Wie hast du mich gefunden?« Ihre tiefe, kehlige Stimme hatte sich nicht verändert.
Maureen wollte auf ihre Mutter zugehen, sie in die Arme nehmen, aber der abweisende Ausdruck in Lauras Augen ließ sie zögern. Mit hängenden Armen stand sie einer Frau gegenüber, die wie eine Fremde auf sie wirkte.
» Nachdem ich deinen Brief erhalten hatte, sind wir sofort gereist. « Krampfhaft suchte Maureen nach den Worten. » Ich ... hätte Vater gern noch einmal gesehen. «
Im selben Moment erschienen Maureen ihre Worte hohl und nichtssagend, sie war aber unfähig, ihre Gefühle auszudrücken. Ihr Kopf war wie leergefegt, und sie befürchtete, jeden Moment in Tränen auszubrechen. Maureen hatte keine überschwängliche Begrüßung erwartet, mit dieser eisigen Ablehnung hatte sie jedoch nicht gerechnet. Laura Mowat schien auch nach siebzehn Jahren ihrer Tochter nicht verziehen zu haben .
»Was ist geschehen? Woran ist Vater gestorben?«, fragte sie leise.
Laura senkte den Kopf und wich Maureens Blick aus.
»Ich konnte nicht ahnen, dass du dich für deinen Vater noch interessierst, nachdem du nicht nur deine Familie, sondern dein ganzes Volk verraten hast. Ich schrieb dir diesen unseligen Brief nur, weil es Johns ausdrücklicher Wunsch war. Bis zuletzt hat er von dir gesprochen. Von mir aus hätte ich dir niemals geschrieben, denn ich habe seit vielen Jahren keine Tochter mehr.«
Maureen schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. Sein Wunsch! Ihr Vater hatte an sie gedacht, ihrer Mutter war sie heute ebenso gleichgültig wie sie ihr während der gesamten Kindheit und Jugend egal gewesen war. Zwiespältige Gefühle kämpften in ihr, schließlich bekam ihr Stolz die Oberhand.
»Dann haben wir die lange Reise wohl umsonst gemacht«, sagte sie bitter. Laura sollte nichts von ihrer Enttäuschung bemerken, aber sie machte einen letzten Versuch, das Herz ihrer Mutter zu erreichen. »Unsere Tochter, deine Enkelin, hat uns begleitet. Frederica kann es kaum erwarten, ihre Großmutter endlich kennen zu lernen.«
Laura hob nur eine Augenbraue, ihr Blick blieb jedoch ausdruckslos.
»Sie hat ihr bisheriges Leben gewiss sehr angenehm verbracht, ohne mich zu kennen. Das wird sie auch weiterhin können, nicht wahr?«
Maureen ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Enttäuschung wandelte sich in Zorn. Philipp, der sich bisher im Hintergrund gehalten und das Gespräch stumm verfolgt hatte, trat an ihre Seite und legte eine Hand auf ihre Schulter. Diese kleine Berührung gab Maureen ein Gefühl von Wärme und neuer Kraft. Trotz der Missstimmung am vergangenen Abend war sie nicht allein.
Philipp flüsterte ihr zu: »Lass es gut sein. Du hast deine gute und ehrliche Absicht bewiesen. Am besten, wir reisen so schnell wie möglich wieder nach Hause.«
Laura starrte den großen, gut aussehenden Mann an. Für einen Moment befürchtete Maureen, sie würde ihm mitten ins Gesicht spucken, so verächtlich zogen sich ihre Mundwinkel nach unten.
»Ach, sie mal an, der Engländer! Was ist es für ein Gefühl, ein Land zu besuchen, dessen Volk ihr beinahe vollkommen ausgerottet habt, und den kläglichen Rest gnadenlos unterdrückt?«
Laura erwartete keine Antwort. Sie drehte sich um und verließ mit erstaunlich raschen Schritten den Friedhof. Maureen warf einen letzten Blick auf das Grab ihres Vaters, dann eilte sie Laura nach.
»Ich kann nicht anders«, rief sie Philipp zu. »Trotz allem ist sie meine Mutter.«
Am Tor holte sie Laura ein. Ein heftiger
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