Im Schatten der Vergeltung
untersetzter, älterer Herr kam mit federnden Schritten auf sie zu und musterte Maureen mit unverhohlener Bewunderung.
»McLaud! Welche Freude, Sie hier zu sehen. Sie müssen mir unbedingt Ihre reizende Begleitung vorstellen.«
Alan wollte gerade ihren Namen nennen, Maureen antwortete jedoch schnell: »Mein Name ist Maureen Mowat. Ich weile derzeit als Gast meiner Mutter in der Stadt.«
Ungeniert tätschelte der Mann ihren bloßen Oberarm, denn ihr pfauenblaues Kleid verfügte nur über kurze Puffärmel und war für den Winter eigentlich nicht geeignet. Es war jedoch das Beste, das Maureen nach Schottland mitgenommen hatte, und musste für den heutigen Anlass ausreichen.
»Maureen, darf ich dir unseren Gastgeber Jameson McPherson vorstellen?«, sagte Alan nun. »Der reichste Kaufmann in ganz Schottland.«
McPherson war über die indiskrete Bemerkung keinesfalls empört, im Gegenteil, er lachte mit einer tiefen Bassstimme und erwiderte: »Immer noch der Hang zum Übertreiben, alter Junge! Sie müssen wissen, Miss Mowat, ich habe bereits mit Alans Vater die Schulbank gedrückt. Kenne Alan, seit er in die Windeln gemacht hat, und das konnte er häufig und viel. Sie machen sich ja keine Vorstellungen, was seine arme Mutter ...«
»Jameson, Sie entschuldigen uns? Ich sehe gerade Sir Chrichton den Saal betreten. Ich muss ihn unbedingt begrüßen.«
Energisch zog Alan Maureen mit sich fort.
»Scheint schon etwas intus zu haben«, flüsterte er an Maureens Ohr. »McPherson spricht nach all den Jahren immer noch den Edinburgher Gossenslang. Daran kann auch noch so viel Geld nichts ändern, sonst ist er aber ein ganz patenter Kerl. McPherson hat sich mit seinen eigenen Händen von ganz unten nach ganz oben gearbeitet.«
»Ist er verheiratet?«
Alan sah sie prüfend von der Seite an.
»Nein, er ist Witwer. Warum? Bist du an ihm interessiert?«
»Ekelhafter Kerl!«, schimpfte Maureen und hoffte, Alan würde die Beschimpfung auf sich und nicht auf den Kaufmann beziehen. Sie war über die Ausdrucksweise des Gastgebers keinesfalls schockiert. Im Gegenteil. Sie war erst wenige Minuten in diesem Haus und spürte, dass die Menschen, die sich hier versammelt hatten, keine verlogene, intrigante Gesellschaft war. Ihre Ahnung trog sie nicht. In der nächsten Stunde lernte Maureen bodenständige, schottische Bürger und Adlige kennen, die frei aussprachen, was sie fühlten und dachten.
Lady Chrichton, eine schlanke und rothaarige Schönheit mittleren Alters, erinnerte Maureen ein bisschen an Lady Beechgrove. Sie war elegant und gebildet, ohne hochnäsig zu sein und auf andere herabzusehen. Maureen hatte sich auf der Fahrt mit der Mietdroschke in die St. David Street eine einfache und glaubhafte Geschichte ausgedacht. Ihre Mutter war die Letzte aus dem Geschlecht der McCorkindales, das durchaus der Richtigkeit entsprach, und durch ihre Krankheit gezwungen, den Winter in Edinburgh zu verbringen, da sie zu schwach für eine Reise in den Nordwesten war. Auch das war die Wahrheit. Erfunden war der Teil, dass Maureen verwitwet und aus Glasgow zu ihrer Mutter gekommen war, um ihr beizustehen. Die Wahrscheinlichkeit, jemand der Anwesenden könnte die tatsächlichen Umstände herausfinden, war mehr als gering.
Alan überließ Maureen in der Obhut von Lady Chrichton und wurde in ein längeres Gespräch mit zwei Männern verwickelt. Die rothaarige Schönheit hakte sich freundschaftlich bei Maureen unter.
»Sie müssen unbedingt alle kennenlernen. Es ist mir eine Freude, einen neuen Gast in unseren Kreis einzuführen.«
Sie stellte Maureen so vielen Personen vor, dass ihr bald der Kopf vor lauter Namen schwirrte. Sie würde sich unmöglich alle merken können. Niemand fragte, in welcher Beziehung sie und Alan McLaud standen, sie wurde einfach als seine Begleitung akzeptiert. Erleichtert atmete Maureen auf, als der Gong zum Essen rief. Alan war ihr Tischnachbar zur Rechten, links nahm Lord Chrichton Platz. Maureen genoss es, nach den Monaten der einfachen Kost mal wieder richtig zu schlemmen. Es wurden eine Vielzahl von Fischgerichten, in Wein eingelegtes Rindfleisch mit einer Butter-Likör-Sauce, Wildpasteten und Stücke eines saftigen Truthahns gereicht. Das Dessert war ein cremiger Mandel- und Orangenpudding. Nach dem Festschmaus erwartete Maureen eine weitere Überraschung. Nachdem das Geschirr abgetragen worden war, packte jeder mit an, Tische und Stühle zur Seite zu schieben, um eine Tanzfläche zu schaffen.
»Tanzen!«,
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