Im Schatten der Vergeltung
lag an seiner breiten Brust, und sie nahm seinen herben männlichen Geruch in sich auf. Als die Kutsche vor dem Haus am Charlotte Square hielt, befreite sie sich nicht aus der wohltuenden Umarmung. In ihrem Leben hatte es nur einen einzigen Mann gegeben, Alan war jedoch so völlig anders als Philipp. Maureen schob das Rollo des Kutschenfensters hoch und sah hinaus. Das Haus lag in Dunkelheit, auch in Lauras Zimmer, das zur Straße hinausging, brannte keine Kerze. Maureen hoffte, dass ihre Mutter tief und schmerzfrei schlief.
»Danke für den wunderschönen Abend«, flüsterte sie.
Mit zwei Fingern hob Alan ihr Kinn. Im schwachen Licht, das den Innenraum der Kutsche nur wenig beleuchtete, sah sie seinen Blick voller Wärme und zugleich verhaltener Leidenschaft. Maureen konnte sich nicht daran erinnern, wann Philipp sie zum letzten Mal so angesehen hatte.
»Woran denkst du gerade?«, fragte er leise.
Maureen schluckte und verdrängte jeden Gedanken an Philipp. Wie von selbst kamen die Worte über ihre Lippen, bevor sie sich ihrer Konsequenz bewusst werden konnte: »Möchtest du mit hereinkommen?«
Die Gischt spritzte hoch und kühlte ihre heiße Haut. Barfuß lief sie über den feinen, weißen Sand der Bucht, der Wind zerrte an ihrem offenen Haar ...
Widerstrebend ließ Maureen den Traum los, der sie in den vergangenen vier Wochen fast jede Nacht begleitete, und öffnete langsam die Augen. Ihr war kalt, die Wärme und die Sonne des Traums waren verschwunden. Im flackernden Licht der Kerze sah sie, dass das Plaid auf den Boden gerutscht war und sie nackt im Bett lag. Bevor sie sich aufrichten und wieder zudecken konnten, legten zwei Hände die Decke wieder über ihren Körper.
»Damit du dich nicht erkältest«, sagte eine sanfte Stimme voller Liebe und Zärtlichkeit. Trotzdem sehnte sich Maureen, wieder in ihren Traum versinken können. Einem Traum, in dem sie in der Bucht von Trenance Cove war, und es war Sommer. Ein herrlicher und warmer Sommer ...
»Wie spät ist es?«, fragte sie schnell, bevor sie traurig werden konnte.
»Noch nicht sieben Uhr. Du kannst noch schlafen. Ich glaube, du bist letzte Nacht wieder erst sehr spät zu Bett gegangen.«
»Es war eher schon Morgen«, murmelte Maureen und beobachtete, wie sich Alan leichtfüßig und elegant aus dem Bett schwang. Während er gähnte und seine Glieder streckte, konnte sie das Spiel seiner Muskeln unter der glatten Haut beobachten. Maureen starrte auf seinen kleinen, festen Hintern. Durch die Kühle, die im Zimmer herrschte, hatten sich seine schwarzen Härchen aufgestellt. Maureen fühlte ein Kribbeln auf ihrer Haut. Am liebsten hätte sie die Hände nach dem nackten Körper ausgestreckt und ihn in das warme Bett zurückgezogen. Alan hatte ihr am Vorabend aber gesagt, er müsse früh aufstehen, da er eine wichtige Verabredung habe.
»Wie geht es Laura?«, unterbrach Alan ihre Gedanken.
Maureen seufzte. »Ich fürchte, sehr schlecht. Letzte Nacht habe ich die Dosis verdoppeln müssen.«
Seit dem Abend vor vier Wochen, als Maureen Alans Geliebte geworden war, fand Laura kaum noch Schlaf ohne die schmerzlindernde Wirkung des Opiums. Die Flasche hatte Maureen von dem Arzt bekommen, der Laura regelmäßig besuchte und bemüht war, ihr das Leiden so gut es ging zu erleichtern.
»Es ist das Einzige, das ihr für ein paar Stunden Schmerzfreiheit bescheren kann«, hatte der Arzt gesagt. »Ihr Körper ist aber derart geschwächt, dass Sie mit der Dosierung sehr vorsichtig umgehen müssen. Ein Schluck zu viel könnte sie töten.«
Maureen und Laura waren sich der Gefahren des Opiums bewusst.
»Bevor ich davon abhängig werden kann, bin ich längst tot«, hatte Laura ironisch gemeint. »Und wenn ich mal zu viel nehmen sollte … Was solls‘? Ob ich jetzt oder in ein paar Wochen sterbe, was spielt das noch für eine Rolle?«
In der vergangenen Nacht hatte Laura sich mit blutigen Auswürfen und grauenvollen Schmerzen geplagt und nach einer weiteren Dosis Opium verlangt, durch die sie endlich in einen tiefen Schlaf gefallen war. Erschöpft hatte Maureen sich erst vor zwei Stunden niederlegen können.
»Du bist sehr stark und tapfer.« Alan, inzwischen vollständig angekleidet, strich ihr sanft übers Haar. »Warte heute Abend nicht auf mich. Ich weiß nicht, ob ich Zeit finden werde zu kommen. Obwohl ich, kaum dass ich dein Bett verlassen habe, bereits vor Sehnsucht nach deinem Körper verbrenne.«
Seine Lippen zogen eine heiße Spur aus kleinen Küssen
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