Im Schatten der Vergeltung
Fehler war. Wenn man jung und verliebt ist, denkt man nicht an die Zukunft, die voller Widrigkeiten sein kann. Aus diesem Grund ist die Entwicklung, wie sie nun gekommen ist, das Beste für alle Beteiligten. Der Zeitpunkt, Abschied voneinander zu nehmen, ist nun gekommen. Abgesehen von den traurigen Ereignissen in deiner Familie musst du zugeben, dass wir uns in letzter Zeit ohnehin immer mehr voneinander entfernt und uns kaum noch etwas zu sagen hatten.
Ich wünsche Dir alles Gute. Lebe wohl.
Philipp
M aureens Magen zog sich krampfartig zusammen, sie glaubte, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Sie rutschte aus dem Sessel und kauerte wie ein weidwundes Tier auf dem Teppich, die Finger um die dicht beschriebenen Seiten geklammert, deren Zeilen ihr Leben zerstörten. Das konnte doch alles gar nicht wahr sein! Sie galt als tot, gestorben an einer Lungenentzündung! Philipp hatte nicht den schmachvollen Weg einer Scheidung gewählt, wie sie befürchtet hatte, der aber wenigstens ehrenhaft gewesen wäre, sondern wie ein feiger Hund den Schwanz eingezogen und sie einfach sterben lassen. So war er fein raus, und der Name Trenance frei von jedem Skandal. Im Gegenteil – wahrscheinlich ließ er sich von jedem bedauern, Witwer geworden zu sein. Das Schlimmste aber war, dass Frederica mit dem angeblichen Tod ihrer Mutter fertig werden musste. Maureen schluchzte und schlug die Hände vors Gesicht. Das Mädchen hatte sie geliebt, das wusste sie, und entgegen Philipps Worten, sie würde bald darüber hinwegkommen, würde Frederica unsäglich leiden. Wie konnte Philipp ihr das antun? Wie konnte ein liebender Vater seine einzige Tochter derart belügen und betrügen, und ihr damit tiefen Schmerz zufügen?
»Ich hasse und ich verachte dich, Philipp Trenance!«, rief sie in die Stille des Zimmers. In diesem Moment starb jedes Gefühl, dass sie jemals für ihren Mann empfunden hatte.
Langsam rollte sie sich auf die Knie, dann stand sie so mühsam auf, als wäre sie binnen Minuten um viele Jahre gealtert. Am ganzen Körper zitternd schleppte sie sich zur Anrichte und schenkte sich einen Whisky ein. Sofort wurde sie ruhiger und auch die Übelkeit würde besser. Sie musste das eben Gelesene erst einmal verarbeiten, dann wollte sie überlegen, was zu tun war. Was sie überhaupt noch tun konnte . Auf keinen Fall würde sie Philipps Entscheidung einfach akzeptieren! Vielleicht war es am besten, sich für ein paar Stunden abzulenken, um dann morgen darüber nachzudenken, wie es weitergehen sollte. Sie wusste auch schon wie und würde Jenny bitten, heute Abend ausnahmsweise bei Laura zu bleiben. Wenn sie ihr einen Schilling extra gab, würde das Mädchen bestimmt dazu bereit sein.
6. Kapitel
D er hohe, mit kostbarem Teakholz getäfelte Raum war von Dutzenden Kerzen erleuchtet. Es roch nach Möbelpolitur, Bohnerwachs und den schweren, süßlichen Parfüms der Damen. Die Roben der Gäste waren von erlesener Eleganz, die Perücken weiß gepudert und livrierte Diener servierten Getränke in Gläsern aus feingeschliffenem, venizianischem Glas. Aufmerksam sah Maureen sich um. Wie lange war es her, dass sie ein Fest besucht hatte?
Nach Philipps unglaublichem Brief hatte sie sich spontan entschlossen, Alan, der trotz ihrer ablehnenden Haltung pünktlich um sieben Uhr erneut an ihrer Tür klopfte, zu begleiten. Sie tat es mehr aus Trotz als aus Vergnügen, aber Maureen brauchte an diesem Abend Ablenkung. Zu Hause hätte sie nur grübelnd dagesessen und wäre in Selbstmitleid versunken. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, musste sie sich eingestehen, dass Alan ihr nicht so unsympathisch war, wie sie ihn glauben machte. Er war attraktiv und konnte, wenn er wollte, sehr charmant und zuvorkommend sein. Was aber am Wichtigsten für Maureen war: Er freute sich über ihre Gesellschaft, zeigte offen seine Bewunderung tat nicht der ganzen Welt kund, dass sie gestorben war ...
Schnell verdrängte Maureen die trüben Gedanken aus ihrem Kopf, hängte sich bei Alan ein und schritt mit hoch erhobenem Kopf durch den Saal. Mit unverbindlichem Lächeln begrüßte sie Personen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte und wahrscheinlich auch nie wieder sehen würde, murmelte ihre Dankbarkeit über die Einladung und plauderte hier und da belanglos über das wechselhafte Wetter. Ein Diener in grüner Livree mit goldenen Litzen an den Ärmelaufschlägen reichte ihr ein Tablett und verbeugte sich galant. Maureen griff dankend nach einem Glas Weißwein. Ein
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