Im Schatten der Vergeltung
weiß, hat dein Vater alles veranlasst, damit deine Großmutter anständig beerdigt wird, wenn ihre Zeit gekommen ist. Du darfst dir nicht länger darüber Gedanken machen.« Er räusperte sich und starrte aufs Meer hinaus. »Eigentlich habe ich dich gesucht, weil ich dir was sagen muss.«
Auf einmal begann Fredericas Herz schneller zu schlagen. Nach ihrer Rückkehr aus Schottland hatte sie George nur ein paar Mal getroffen, und es hatte sich nie die Gelegenheit für ein persönliches Gespräch ergeben. Frederica, die brennend darauf wartete, dass er sich ihr erklären würde, war vor Ungeduld beinahe vergangen. Mitte Dezember waren er, Lady Esther und eine gewisse Pamela March, eine entfernte Verwandte, nach London gereist, um das Weihnachtsfest dort zu verbringen. Lord Linnley war in Cornwall geblieben und von ihrem Vater am zweiten Weihnachtstag eingeladen worden, aber Fredericas Hoffnungen auf eine Verlobung am Christfest hatten sich zerschlagen. Dann kam die Nachricht von Maureens Tod und damit war die Möglichkeit einer Verbindung mit George vorerst in weite Ferne gerückt. Selbst jetzt wäre es für einen Antrag noch zu früh, denn vor Ablauf des Trauerjahrs würden sie nicht heiraten können. Frederica war sich trotzdem sicher, George würde bald von seiner Liebe, die sie in jedem seiner Blicke zu erkennen glaubte, sprechen.
»Meine liebe Frederica«, begann er nun zögernd, mied aber ihren Blick. »Wir kennen uns, seit wir Kinder waren. Obwohl ich einige Jahre älter bin, hast du mir immer dein Vertrauen geschenkt. Darum ist es mir ein wichtiges Anliegen, dir persönlich mitzuteilen, dass ich mich vermählen werde.«
Fredericas Herz tat einen Sprung, vor Aufregung wurden ihre Handflächen feucht. Am liebsten wäre sie George um den Hals gefallen und hätte sich an seine Brust geschmiegt.
»Ach, George ...«, hauchte sie. Ihre Lippen öffneten sich und sie sah ihn erwartungsvoll an. Jetzt war doch der Moment gekommen, in dem er sie küssen musste!
»Meine Mutter hat den Hochzeitstermin auf Anfang September festgelegt. Lady March benötigt die Zeit, ihre Tochter angemessen auf die Hochzeit vorzubereiten. Jetzt hoffen wir natürlich, dass es der Wettergott gut mit uns meinen wird, aber du kennst ja meine Mutter: Wenn sie möchte, dass die Sonne scheint, dann wird diese es nicht wagen, ihr zuwiderzuhandeln.«
George lachte über seinen Scherz und bemerkte nicht, wie verwirrt Frederica war. Sie dachte: Der Termin ist bereits festgesetzt? Anfang September? Das war doch viel zu früh! Im Herbst war das Trauerjahr noch nicht vorbei! Sie kannte zwar Lady Esthers bestimmende Art, aber man hätte sie, Frederica, wie auch ihren Vater zumindest fragen müssen! Ganz langsam stieg die Erkenntnis in ihr auf, dass hier etwas völlig schieflief. Was hatte eigentlich Pamela March mit ihrer Hochzeit zu tun?
»Frederica? Was ist mit dir?« Jetzt bemerkte George, dass aus Fredericas Wangen jegliche Farbe gewichen war. »Freust du dich denn gar nicht für mich?«
Konsterniert starrte sie George an und fragte, obwohl sie die Antwort eigentlich nicht hören wollte: »Wen ... wen heiratest du denn?«
»Pamela natürlich. Es ist seit Monaten zwischen unseren Familien vereinbart worden. Ich dachte, du wüsstest es. Ich wollte dir nur persönlich den Termin mitteilen und dich und deinen Vater zu der Hochzeit einladen. Die schriftliche Einladung folgt selbstverständlich, sobald die Karten gedruckt sind.«
»Ach so … ja …«
Frederica rückte ein Stück zur Seite, in ihrem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander, es gelangt ihr aber, die Fassung zu bewahren. Pamela March? Das naive Gänschen, das im letzten Winter bei den Linnleys zu Gast gewesen war? Im Januar hatte Frederica das Mädchen flüchtig kennengelernt. Zugegeben, sie verfügte über eine gewisse Schönheit, auch wenn Frederica fand, sie wirkte blass und kränklich. Pamela March hatte eine schöne, klare Singstimme und spielte leidlich auf dem Pianoforte, das musste Frederica neidvoll eingestehen. Sie selbst machte sich nicht viel aus Musik und hatte sich bisher erfolgreich vor Gesangsabenden gedrückt. Seit dem Tod ihrer Mutter gab es ohnehin keine Geselligkeiten in Trenance Cove. Ihr Vater und sie nahmen lediglich zwanglose Einladungen zum Tee an oder machten ab und zu einen Vormittagsbesuch. Frederica hatte Pamela March bereits wieder aus ihrem Gedächtnis gestrichen, bis sie nun von George an sie erinnert wurde. In ihren Überlegungen hatte sie ein
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