Im Schatten der Vergeltung
mein Leben hätte sein können, wenn ich meine Tochter hätte lieben können.«
»Aber ich verstehe dich ja!«, rief Maureen und verbarg ihre Tränen nicht. »Kein Mensch hätte nach dem, was dir angetan worden ist, anders gehandelt.«
»Vielleicht hätte ich verzeihen müssen ...«
»Verzeihen?« Fassungslos schüttelte Maureen den Kopf. »Diesen Verbrechern verzeihen? Niemals!« Sie kniete sich vor das Bett und presste die Hände der Mutter gegen ihre Brust. »Ich schwöre dir hier und jetzt: Die Männer werden zur Verantwortung gezogen, und ich werde dafür sorgen, dass das Unrecht gesühnt wird.«
Bevor Laura etwas erwidern konnte, wurde sie von einem erneuten Anfall gepackt, und sie konnte kaum noch atmen. Angesichts der Qual ihrer Mutter fühlte Maureen sich schrecklich hilflos. Hellrotes, schaumiges Blut tropfte aus ihrem Mund. Sanft tupfte Maureen es mit ihrem Taschentuch fort, aber sie konnte es nicht stoppen. Sie griff nach der Flasche mit dem Opium und wollte den Löffel füllen.
»Nein, Maureen ... Es ist zu spät.« Nur noch ganz leise erreichte Lauras Stimme ihr Ohr. Sie beugte sich vor, damit die Mutter sich nicht anstrengen musste. »Keiner weiß, ob die Männer überhaupt noch leben. Vielleicht wurden sie von Gott ihrer gerechten Strafe längst zugeführt.«
Maureen ballte die Hände zu Fäusten.
»Ich werde es herausfinden, das schwöre ich dir! Ich werde das vollenden, zu dem du niemals Gelegenheit gehabt hast.«
Mit letzter Kraft und schmerzverzerrtem Gesicht hob Laura eine Hand und berührte Maureens Gesicht. Es war nicht mehr als ein Windhauch, kaum spürbar, und Maureens Herz zog sich vor Schmerz zusammen.
»Leb´ wohl, mein Kind ...«
Mit brennenden Augen starrte Maureen auf die leblose Gestalt der Frau, die ihre Mutter gewesen war. Bis zum Morgengrauen kauerte sie an Lauras Seite, unfähig, sich zu bewegen. Ein weiteres Kapitel ihres Lebens war zwar unwiderruflich vorbei, lange aber noch nicht abgeschlossen.
A chtlos warf Maureen Kleid für Kleid aufs Bett, es folgten Handschuhe aus Kalbsleder und federgeschmückte Hüte.
»Das kannst du alles haben, Jenny. Wir haben ungefähr dieselbe Größe, und du kannst die Sachen für dich abändern.«
Das Mädchen stand mit staunenden Augen vor dem Kleiderberg.
»Das kann ich nicht annehmen, Mylady.«
Maureen machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Ob du sie willst oder nicht, ist mir egal. Ich habe alles, was ich benötige, eingepackt. Diese Kleider lasse ich hier. Mache damit, was du willst.«
Es waren all ihre eleganten Kleider, die sie aus Cornwall mitgebracht hatte: weiche, fließende aus Georgette, zarte Gewänder aus Seide und Brüsseler Spitze und leichte, weiche Lederschuhe. Maureen hatte nur ihre derbe, praktische Kleidung, die sie sich während des Winters in Edinburgh erworben hatte, in eine Tasche gepackt. Sie wollte sich nicht mit unnötigem Gepäck belasten. Sie nahm die Tasche, die sie problemlos tragen konnte, und lächelte Jenny zu.
»Leb wohl, Jenny. Du bist ein fleißiges Mädchen. Ich wünsche dir viel Glück.«
»Alles Gute, Mylady«, flüsterte Jenny, und eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel, denn sie hatte die Lady, die immer freundlich zu ihr gewesen war, regelrecht gern gewonnen. Nachdem Maureen sie verlassen hatte, hielt Jenny sich zögernd die Kleider vor den Körper und betrachtete sich im Spiegel. Wenn Lady Maureen sie nicht mehr wollte …Für den Abfall waren die Gewänder wirklich zu schade ...
A uf der Straße wartete bereits der Karren, auf dem der Sarg ihrer Mutter sicher befestigt war. Auf dem Kutschbock saß ein kräftiger, finster blickender Mann, ein zweiter hielt die zwei Pferde am Zügel. Die Sonne war erst vor einer Stunde aufgegangen, und Maureen schauderte in der noch kühlen Luft. Der Anwalt Mr. Pepys begrüßte Maureen mit einem ungeduldigen Blick auf seine Taschenuhr.
»Es wird Zeit aufzubrechen, Mylady. Wenn Sie auf Ihrer Reise die Berge passieren, werden sie dort noch genügend Schnee finden. Ich habe den beiden Burschen genaue Anweisungen gegeben, was sie zu tun haben. Zweimal am Tag muss der Sarg mit Schnee umgeben werden, damit ...«
Maureen winkte ab. Sie konnte auf die Beschreibung, wie die Leiche ihrer Mutter langsam verwesen würde, wenn sie sie nicht regelmäßig kühlte, verzichten. Gut, dass es erst April und in den Bergen noch kalt war. Der Anwalt hatte binnen eines Tages alles Notwendige veranlasst. Vorgestern, am Morgen nach Lauras Tod, hatte Maureen ihn
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