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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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Gesellschaft und Unterhaltung und forderte Maureen immer wieder auf, ihm von Laura und Edinburgh zu erzählen. Er wollte über jeden Straßenzug, über jede Kirche genaue Beschreibungen hören und wissen, wie es in den neuartigen Kaffeehäusern zuging.
    »Früher, ach, es ist beinahe ein ganzes Menschenleben her, war ich oft in der Stadt«, seufzte er, die stumpfen Augen auf einen Punkt irgendwo in der Ferne gerichtet. »Damals wurde die Stadt noch von den Schotten beherrscht, nirgends sah man einen verdammten Rotrock!«
    Maureen musste an sich halten, McCorkindale nicht daran zu erinnern, dass er seine Familie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit bereitwillig an die »verdammten Rotröcke« verraten hatte, um seinen Hals zu retten. Sie atmete tief durch, beherrschte sich und versuchte, seine Fragen zu beantworten. Maureen hatte mehrere Monate in Edinburgh verbracht und die Stadt gut kennengelernt. Außerdem war es gleichgültig, ob sie einen Straßenzug oder eine Häuserzeile erfand, die es gar nicht gab. Der Alte würde ohnehin nie wieder in die Stadt kommen und ihre Angaben nachprüfen können. In den Stunden, in denen Maureen mit McCorkindale vor dem rauchigen Torffeuer saß, war in ihr ein Funken Sympathie für den alten Mann gewachsen. War dieses Gefühl jenes, das man die Stimme des Blutes nannte?
    Hier am See, in dem einst Laura ihrem jungen Leben ein Ende hatte setzen wollen, konnte Maureen sich wieder daran erinnern, dass der alte Mann ein Ungeheuer war, der seine eigene Tochter zu seinem Vorteil wie eine Ware verschachert hatte. Laura hatte lieber sterben wollen, als mit diesem Unmenschen, der ihr Vater war, einen Tag länger unter einem Dach zu leben. Dann war John gekommen. Der einfache Stallknecht hatte ihr Leben gerettet, nicht nur Lauras Leben, sondern auch das ihrige! Wäre John nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, dann stünde sie heute nicht hier. Mechanisch begann Maureen kleine, flache Steine ins Wasser zu werfen. Die Gegend um den Loch Melfort herum war atemberaubend. Nach den Monaten in der engen und überfüllten Stadt schmeckte die Luft hier wie reinster Nektar. Maureen, die in ihrer Kindheit und Jugend die Hügel und Täler der Grampians geliebt hatte und die steilen Klippen und flachen Sandstrände Cornwalls, die unvergleichliche Luft nach Salz und Fisch seit ihrer Abreise vermisste, empfand plötzlich ein Gefühl von Frieden und Freiheit. Für einen Moment wünschte sie sich, für immer hierbleiben zu können. Hier könnte es ihr vielleicht gelingen, all ihre Sorgen zu vergessen. Die Erinnerung an Laura und an die Ereignisse, denen sie ihr Leben zu verdanken hatte. Sich einfach treiben und alles hinter sich lassen ...
    Du kannst es, flüsterte eine Stimme in ihr, denn du bist McCorkindales Enkelin. Erst heute Morgen hatte McCorkindale erzählt, Lauras Mutter sei vor vielen Jahren an einem Fieber gestorben, und er habe nicht wieder geheiratet. Es gab keinen Erben für Bothy Castle. Wenn McCorkindale starb, würde sein Geschlecht ausgelöscht sein und die Burg vollends zur Ruine verfallen. Er hatte auch berichtet, wie er vor fünf Jahren in Ellie nicht nur eine kompetente Pflegerin, sondern auch eine unterhaltsame Begleitung für seine letzten Jahre gefunden hatte. Um Bothy Castle stand es nicht gut. McCorkindale und Ellie lebten mehr schlecht als recht von dem, was das umliegende Land und der See abwarfen. Es gab nur wenige Pächter, deren Ländereien allerdings nicht viel hergaben, und McCorkindale war zu krank und zu alt, um die Arbeit der Pächter zu überwachen. Manchmal fuhr Ellie zu den entfernten Hütten und Katen. Da sie jedoch nicht die offizielle Herrin von Bothy Castle war, begegnete man ihr mit einer Mischung aus Verachtung, aber auch Vorsicht, denn ihr Einfluss auf den Herrn war allgemein bekannt. McCorkindale war fest davon überzeugt, von den Pächtern nach Strich und Faden betrogen zu werden.
    »Was soll ich machen?«, hatte er gefragt. »Mir sind die Hände gebunden, denn ich kann das Haus nicht mehr verlassen. Aber wir haben genügend, um nicht zu verhungern, wenn auch der letzte Winter sehr hart war. Meine Zeit ist bald abgelaufen, und ich kann ohnehin nichts mitnehmen.«
    Darüber, was nach seinem Tod mit dem Besitz und mit Ellie geschehen würde, äußerte er sich nicht. Wahrscheinlich würde sie die Burg, die jetzt schon mehr einer Ruine als einem Wohnhaus glich, bekommen. Maureen war überzeugt, nur die Aussicht, eines Tages den Besitz ihr Eigen

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