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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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eine Zeit, in der Menschen sich veränderten. Vielleicht hatte er das, was er Laura angetan hatte, auch längt vergessen oder zumindest verdrängt. Nun, sie würde nach dem Beweis suchen und dadurch Klarheit erhalten. Langsam stand Maureen auf.
    »Ich werde die Knechte nach Degnish begleiten und einen Gasthof suchen. Wir werden nach der Beisetzung sofort wieder aufbrechen«, sagte sie mit gleichmütigem Gesicht. Sie setzte alles auf eine Karte – und sie gewann.
    »Sie können unmöglich gleich wieder nach Edinburgh zurückkehren. Wenn Bothy Castle auch nicht viel zu bieten hat, sind Sie, so lange Sie möchten, mein Gast.«
    Ein abfälliger grunzender Laut von Ellie ließ keinen Zweifel daran, was sie von McCorkindales Einladung hielt.
    »Und wo soll sie schlafen?« Sie verschränkte beide Arme vor der Brust, und ihre ganze Haltung strotzte vor Ablehnung und Misstrauen.
    McCorkindale winkte Ellie zu sich. Zärtlich legte er eine Hand auf ihren nackten Unterarm. Sofort wurden ihre Züge weich, und sie erwiderte seinen warmen Blick. Die werden doch wohl nicht noch miteinander ins Bett gehen, schoss es Maureen durch den Kopf. Bei dieser Vorstellung rann ihr ein Schauer über den Rücken.
    »Ich bin sicher, Liebes, du kannst das Eckzimmer für unseren Gast wohnlich herrichten.« Die liebevolle Anrede bestätigte Maureen in ihrer Vermutung. »Wie war noch mal Ihr Name? Sie müssen entschuldigen, aber mein Gedächtnis ...«
    »Trenance. Maureen Trenance.«
    Archibald McCorkindale streckte ihr die Hand entgegen. Zögernd ergriff Maureen sie. Sie fühlte sich an wie altes Pergament, das zu lange in der Sonne gelegen hatte.
    »Ich danke Ihnen. Ich habe nicht gedacht zu erfahren, was aus meiner Tochter geworden ist. Ich hoffe, sie hat nicht lange leiden müssen?«
    »Nein, sie starb schnell und ohne Qualen«, entschied Maureen sich für die Lüge. Im Vergleich zu den Qualen, die Laura Jahre vorher durch die Schuld dieses Mannes hatte erleiden müssen, war ihr Tod wirklich ein sanftes Einschlummern gewesen.
    McCorkindales Blick ruhte fest auf ihr.
    »Es ist seltsam, aber Sie erinnern sie mich an Laura, obwohl ich meine Tochter viele Jahre nicht mehr gesehen habe. Da ist aber etwas in ihrem Gesicht, ein Ausdruck, wenn Sie in Gedanken versunken sind ...«
    Schnell zog Maureen die Hand zurück und senkte den Blick. Nie zuvor war sie auf die Idee gekommen, sie könnte ihrer Mutter ähnlich sehen, so naheliegend es auch war.
    »Vielleicht, weil wir beide unsere Ehemänner verloren haben?«, antwortete sie zögernd. »Ein gemeinsames Schicksal verbindet Menschen.«
    »Vielleicht.« Er schwieg und wandte den Blick ab.
    Unruhig trat Maureen von einem Fuß auf den anderen.
    »Ich gehe jetzt zum Friedhof. Wenn Sie erlauben, werde ich in Ihrem Namen eine Blume auf den Sarg legen.«
    Archibald McCorkindale antwortete nicht. Still, mit gesenktem Kopf saß er im Sessel. Nicht nur ein alter, sondern auch ein gebrochener Mann. Der Tod klopfte bereits an seine Tür. Energisch unterdrückte Maureen den Anflug von Mitleid für ihren Großvater. Sie musste das Dokument so schnell wie möglich finden, sofern es sich noch in der Burg befand, dann würde sie sich überlegen, was mit McCorkindale geschehen sollte.
    Sanft rollten kleine Wellen an den flachen Strand des Sees. Loch Melfort – ein See, der eigentlich gar keiner ist. Tatsächlich handelt es sich um einen Meeresarm der Irischen See, der weit in das Land hineinreicht. War hier die Stelle, an der Laura versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, nachdem sie ihre Schwangerschaft bemerkt hatte? Schwanger mit ihr! Maureen meinte, das eiskalte Nass zu spüren, das ihr langsam die Beine hinauf über ihre Hüften bis zu ihren Brustkorb stieg. Was hatte Laura damals gefühlt? Wie groß musste ihre Verzweiflung gewesen sein, um einen solchen Schritt zu wagen? Maureen presste so fest die Kiefer zusammen, bis ihre Wangenmuskeln schmerzten. Seit einer Woche lebte sie nun schon in der Burg, und Archibald McCorkindale brachte ihr so viel Aufmerksamkeit und Freundlichkeit entgegen, dass sie es heute nicht länger in seiner Gesellschaft ausgehalten hatte. Unter einem Vorwand war sie aus der Burg und hinunter an den See gegangen, um sich an ihre Aufgabe zu erinnern. Im Leben des alten Mannes gab es nicht mehr viel Abwechslung, es kamen nur selten Besucher in diese Gegend. Sein Körper mochte zwar alt und krank sein, sein Gehirn funktionierte jedoch wie das eines jungen Burschens. McCorkindale gierte nach

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