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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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umschlossen und blickte mich dann von unten her herausfordernd durch ein paar Strähnen seines blonden Ponys an. Das kam cool und unheimlich männlich rüber. Wusste er, dass ich auf solche Details achtete, und wollte er testen, ob es mich anmachte? Und Pauls gälischen Gesang, voller geheimnisvoller Kehllaute und Zungenschläge, hatte ich zwar registriert, dem jedoch keine besondere Bedeutung beigemessen, da ich den Text nicht verstanden hatte.
    Ich lächelte unsicher. „Naja, darin scheint er ja ganz gut zu sein. In spontanen Überraschungsaktionen, meine ich.“
    Ich warf zum ersten Mal einen Blick über die Schulter zu Paul hin. Er hatte sich vorgebeugt, um den Wortwechsel besser zu verstehen, und sein Gesicht war meinem jetzt überraschend nahe. Ich roch den etwas blumigen Duft seines Aftershaves, der sich mit dem nach gesundem Schweiß vermischte. Mein Blick glitt nach unten, hinein in seinen beinahe provokativ weit geöffneten Hemdausschnitt und auf seine glatte, unbehaarte Brust, auf der noch kleine Schweißperlen glänzten. Er bemerkte es und warf mir einen kecken Blick zu. Nur eine Sekunde zu spät drehte ich mich wieder um. Auch mir war jetzt unerträglich heiß.
    Sympathie und Vertrauen sind zwei kostbare Geschenke, die leichtfertig zu verteilen ich mir in den letzten Jahren mehr als abgewöhnt, wenn nicht sogar verboten hatte. Peter und Tom jedoch rannten mit ihren Waffen aus herzerfrischendem Humor und sanfter Zutraulichkeit meine aus Skepsis und Argwohn gemauerte Festung im Sturm nieder; mühelos segelte ihr kleines Boot voll Freundlichkeit über den kühlen Burgbach meiner Reserviertheit. Vielleicht lag es daran, dass sie sich mir bedingungslos öffneten, mir von sich anboten, ohne von mir zu fordern. Vielleicht spielte das Guinness eine Rolle und das schummerige, diffuse Licht im Pub, das die Konturen weicher erscheinen, die Ecken und Kanten weniger bedrohlich wirken ließ. Vielleicht war es auch das berauschende Gefühl, Pauls warmen Körper ganz dicht hinter mir zu spüren, die prickelnde Erotik zwischen uns, die mit keiner Berührung ausgelebt wurde, uns beide aber gerade dadurch an den Rand der Explosion brachte.
    Jedenfalls kapitulierte ich schon nach wenigen Minuten und lernte in Peter und Tom zwei angenehm gesellige Männer kennen, die wie viele junge Iren ihre unmittelbare Zukunft nicht im eigenen Land, sondern in den Staaten oder sogar im fernen Osten sahen, wo sie sich eine Zusatzausbildung, ein Studium oder  einen Arbeitsplatz erhofften. Die beiden setzten auf die High-Tech-Branche, deren Boom in Irland gerade einsetzte. Nach ihren Lehrjahren wollten sie jedoch unbedingt in die Heimat zurückkehren, denn der keltische Tiger würde Spitzenkräfte wie sie benötigen, um gegen die Konkurrenz aus Japan und den USA bestehen zu können. Ihre Zuversicht in ihre Pläne schien so unverwüstlich wie die raue Insel selbst. Ich lauschte ihren Visionen mit begeisterten, Paul dagegen mit wehmütigen Blicken.
    Und schließlich erzählte er mir auch, warum, und lüftete damit gleichzeitig das kleine Geheimnis, das er mir vorgestern beim Frühstück vorenthalten hatte: wenn seine Freunde ihre Vorhaben in die Tat umsetzten, war es vorbei mit der Band, denn er würde allein zurückbleiben. Sein Weg war nicht der ihre; seine Finger klimperten nicht auf einer Computertastatur herum, sondern waren auf einer Klaviatur zu Hause, schrieben Noten und Stücke, während sein Kopf sich nicht mit Programmiersprachen, sondern mit Rhythmik und Harmonielehre beschäftigte. Er studierte Musik und Komposition am Trinity-College, bereits im dritten Studienjahr, wie ich mit Bewunderung zur Kenntnis nahm. Im kommenden Semester würde er seine Abschlussarbeit angehen, die in einer umfangreichen Eigenkomposition münden sollte. Daran würde sich der einjährige Masterstudiengang anschließen, der ihn mit erfolgreichem Abschluss zum „Master of Philosophy of Musicology and Music Theory“ machen würde. Die Auftritte in den Pubs während der Semesterferien waren nur ein winziger Ausschnitt aus der breiten Palette seines Repertoires, mit denen er sich Geld hinzuverdiente, um Noten zu kaufen und Zusatzstunden bezahlen zu können. Irgendwann später, so prophezeite mir Paul mit dem Glanz der Begeisterung in den blauen Augen, würde er selbst einmal Musik- oder Instrumentalunterricht geben, kleinen Kindern genauso gerne wie Erwachsenen, und vielleicht sogar ein Orchester leiten.
    „Und damit bin ich in gar nicht so schlechter

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