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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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Gesellschaft! Wusstest du, dass zu den Absolventen des Colleges auch so namhafte Persönlichkeiten wie Chris de Burgh gehören? Den mag ich unheimlich. Vor ein paar Jahren hat er seine schönsten Balladen mit einem Sinfonieorchester eingespielt. Vielleicht werde ich bei so etwas ja auch einmal dabei sein- und das Orchester leiten, meine ich.“
    Er lächelte ein wenig verlegen, weil er so sehr nach den Sternen griff. Doch ich hatte plötzlich das Bedürfnis, ihm genau die zu versprechen, obgleich es nicht in meiner Macht stand, ihm diesen Traum auch zu erfüllen.
    Die drei also schienen ihre Zukunft so klar vor Augen zu haben, dass sogar in mir kein Zweifel an ihrem Erfolg aufkommen wollte. Ich bewunderte ihren frischen Elan, beneidete sie fast um ihren unbeschwerten Mut. Und um nichts in der Welt wollte ich sie an diesem Abend mit meinen eher düsteren Zukunftsaussichten belasten.
    Denn wenn ich ehrlich war, wusste ich selbst nicht, wie es nach meinem Aufenthalt in Irland für mich weitergehen sollte. Diese Frage hatte ich wie vieles andere vor mir hergeschoben wie ein Bulldozer kalten, pappigen Schnee. Winter herrschte bei mir seit fünf Jahren; entsprechend groß war der Schneehaufen, der sich vor mir auftürmte. Mit Paul kam jetzt noch ein neuer Brocken hinzu. Und in jenen Stunden mit ihm und seinen Freunden im Pub schien mich die Last der aufgeworfenen und zusammengeschobenen Probleme schier zu erdrücken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mich derart blockieren würden, dass ich nicht mehr weiterkonnte und die Richtung ändern musste.
    Doch viele Richtungen gab es nicht mehr, in die ich mich noch würde wenden können. Ich erzählte den dreien nichts von meinem abgebrochenen Mathematik- und Informatikstudium, beförderte mich kurzerhand vom Verkäufer einer Einzelhandelskette zum  Filialleiter eines Hypermarktes und ließ auch die Träume von einem Doktortitel und andere, verrauchte Zukunftspläne besser unerwähnt. Der Atem des Schicksals hatte sie haltlos davon geblasen, ohne auch nur den Hauch einer Hoffnung zurückzulassen.
       
     
       
     
    Dublin, März 2002, kurz vor den Semesterprüfungen
       
     
    „Wie soll’s bei dir eigentlich weitergehen nach deinem Studium, hast du schon was Konkretes im Sinn?“
    Marc stand im Türrahmen zu Johannes’ Zimmer, zwei Kaffeetassen in der Hand, aus denen es verführerisch duftete. Wie immer hatte er nicht angeklopft, und wie immer strafte Johannes ihn dafür mit einigen Sekunden der Nichtachtung, bevor er sein Buch sinken ließ und sich langsam vom Bett erhob. Der Kaffeegeruch zog ihn an wie ein Magnet. Marc wusste das, und es war schon zum Ritual geworden, dass er um diese Zeit mehr oder weniger unangemeldet zum Quatschen hereinschneite.
    Sie setzten sich an Johannes’ Schreibtisch und genossen zunächst schweigend das dampfende, bittere Aroma. Schließlich antwortete Johannes: „Anfangs hatte ich vorgehabt, es bis zum Doktor zu bringen und in die Forschung zu gehen, oder als Programmierer in die Wirtschaft. Eine andere Möglichkeit wäre, mich aufs Lehramtsstudium zu konzentrieren. Macht vielleicht mehr Spaß, den Kids Mathematik zu vermitteln, als sie nur stumm am Computer anzuwenden. Aber ich habe mich da noch nicht so richtig entschieden.“
    Marc blies sacht in seine Tasse. „Du willst es wirklich als Lehrer probieren? Ich meine ... du wirst es wahrscheinlich ungleich schwerer haben, wenn die erst mal mitkriegen, dass du schwul bist.“
    Über Johannes’ Nasenwurzel bildete sich eine steile Wutfalte, die sein hübsches Gesicht unangenehm verfremdete. Mit voller Wucht knallte er seine Tasse auf den Schreibtisch und entgegnete aufgebracht: „Ich werde mir beim Einstellungsgespräch ganz bestimmt kein Schild um den Hals hängen und auch keinen Regenbogenschal tragen! Es geht niemanden was an, was ich mag und mit wem! Und schwul hat nichts mit pädophil zu tun, klar?!“
    Marc hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, schon gut, Jo. Ich weiß das ja. Aber nicht jeder ist so cool und aufgeklärt wie ich!“
    Er blinzelte Johannes wie um Vergebung bettelnd an, doch dieses Mal war Johannes nicht so leicht zu besänftigen. Marc hatte ihn, absichtlich oder nicht, an einer empfindlichen Stelle getroffen, die vielleicht auch ein Freund nicht berühren sollte. Sah er so aus, als würde er kleine Jungs missbrauchen wollen? Oder sich an ekelhaften Pornos ergötzen? Wieso verdammt noch mal wurden alle Menschen immer gleich in einen Topf geworfen,

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