Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
Vom Netzwerk:
Gewichtestemmern, manche computergesteuert, manche noch mit Steckmechanismus. Die der Tür gegenüberliegende Wand war verspiegelt, sodass man sich - oder die anderen - ständig im Auge behalten konnte.
    Johannes hasste Fitnessstudios, er war nie einem solchen Club beigetreten. Er hatte es bisher auch nie nötig gehabt; seine Gene hatten auf wunderbare Weise von allein für seinen wohlgeformten, schlanken Körperbau gesorgt, ohne dass er sich in solchen Fitnesstempeln hatte abquälen müssen. Doch jetzt sah die Sache anders aus. Acht Wochen Krankenhaus hatten seine Muskeln schwinden lassen, die Arme und Schultern schmerzten von der ungewohnten Belastung mit den Krücken, sein Rücken war total verspannt von seinem verkrampften Gang, und die Nutzung der Prothese verlangte von seinem linken Oberschenkel mehr Kraft, als der im Moment bereit war, aufzubringen.
    Obgleich Johannes sich auf die körperliche Bewegung freute, verspürte er gleichzeitig auch ein gewisses Unbehagen. Er hatte keinerlei Vorstellung davon, welche Art von Training ihn hier erwartete - und Angst, es hier machen zu müssen, in diesem winzigen Raum, unter den Blicken all dieser Leute, die er wohl irgendwie schon mal gesehen haben musste, im Speisesaal, vor den Arztzimmern, beim Autogenen Training oder draußen im Park hinter der Klinik. Meistens hatten sie da eine lange Hose angehabt wie er auch, Jogging- oder Jeans-, das war egal. Aber sie erlaubte die Illusion, dass alles normal war, beinahe wie ein Urlaub, nur dass die Bedienung keine Dirndl, sondern weiße Kittel trug, und man sich morgens statt   auf einen Ausflug in die Berge auf einen in den Dschungel der Ärztezimmer vorbereitete.
    Jetzt jedoch wurde er mit der Realität konfrontiert, erbarmungs- und schonungslos: mit Stümpfen, nackt und fleischig aus kurzen Sporthosen herausragend, festgezurrt und angeschraubt an kalte, leblose Prothesen mit und ohne Silikonüberzug. Es war nicht nur deren Schicksal, und es war auch seines. Gleich würde auch er einer von ihnen sein und sich diesen Monsterinstrumenten anvertrauen, die für ihn die Normalität zur Katastrophe machen würden, um ihm aus der Katastrophe in die Normalität zurückzuhelfen. Die Gedanken drehten sich im Kreis, und Johannes wurde übel.
    „Hey, ist dir nicht gut?“
    Eine Hand legte sich fest auf seine Schulter, eine tiefe Frauenstimme suchte sich den Weg durch das Chaos in seinem Kopf zu seinem Bewusstsein. Er blinzelte, doch die grünen Augen vor ihm waren genauso beständig, jedoch viel weicher als der dröhnende Beat aus den Lautsprechern über ihm. Die junge Frau lächelte.
    „Schlechte Luft hier, was? Naja, solange unser Sportzentrum umgebaut wird, müssen wir halt leider hiermit Vorlieb nehmen. Bist du der Johannes?“
    Er nickte und beschloss, zaghaft zurückzulächeln, während er in die ihm entgegengestreckte Hand einschlug.
    „Hi, ich bin die Katja, eine der Trainerinnen hier. Komm, ich bringe dich erstmal zu den Umkleidekabinen.“
    Sie drehte sich um und ging langsam voraus, passte sich wie selbstverständlich seinem für ihn selbst noch ungewohnt langsamen Tempo an. Ihr Pferdeschwanz schaukelte sacht über ihren Schultern hin und her. Erst als Johannes den Blick zu Boden richtete, um sich auf das Laufen zu konzentrieren, bemerkte er ihr künstliches Bein.
    Später im Fitnessraum brachte er kaum Geduld auf. Es ging alles zu schwer, zu langsam, zu schwächlich. Er war kein Schwächling, noch nie einer gewesen, und dass seine Muskeln beim fünften Mal sechs Kilo stemmen schon schlapp machten, ließ ihn vor Zorn und Hass auf sich selbst beinahe aufschreien. Er hasste diese Geräte, diesen Raum, diese schweiß- und angstgeschwängerte Luft, und er hasste Maik, den anderen Trainer, den Hetero, der ihn wieder und wieder berührte, um seine Haltung zu korrigieren oder ihm Übungen vorzumachen. Er hasste dessen anzügliches Grinsen und die Art, wie er ihn mit flachen, für Johannes sinnlosen Macken anspornte.
    „Los Jo, wenn deine Freundin nächstes Wochenende kommt, wird sie dich nicht wiedererkennen. Muskeln ohne Ende. Ich sags dir, die wird ganz neu auf dich abfahren, Mann.“
    Dabei war Maik gar nicht flach, wie Johannes sich neidvoll eingestehen musste, und auch dafür hasste er ihn.
    Die Trainingseinheit dauerte eine Stunde, und danach fühlte Johannes sich wie gerädert. Die Kräftigungsübungen in den verschiedensten Lagen hatten ihn erniedrigt, zumal Maik ständig an seiner Haltung herumkritisierte und die

Weitere Kostenlose Bücher