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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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als er zaghaft die Augen öffnete und das blendend weiße Licht auf seine Netzhaut fiel.
    Weiß, weiß, alles war weiß: die Bettdecke, die Wand gegenüber, die Zimmerdecke über ihm, die Neonlampen, die dort hingen. Langsam wandte er den Blick nach rechts, zu der weißen Tür. Dann zurück zur anderen Seite, wo das Fenster sein musste, denn die Helligkeit nahm in dieser Richtung zu. Strahlend weiße Gardinen vor einem grauweißen Himmel. Die Stille war unerträglich, auch wenn er wenigstens seinen eigenen Atem und den dröhnenden Pulsschlag in seinen Adern hörte. Aber er hatte das Gefühl, allein zu sein, allein in dieser weißen Unendlichkeit. Und das war beängstigender als die grauen Nebel von eben.
    Wie lange hatte er geschlafen? Stunden? Tage? Es war immer so schwer, die Orientierung wiederzufinden, erneut ins Leben einzusetzen, wenn er sich nicht erinnern konnte, wo es ausgesetzt hatte. Und wie so oft war niemand da, der ihm dabei helfen konnte.
    Oder doch?
     Da war ein leuchtender Farbtupfer im Raum: eine gelbe Rose. Auf seinem Nachttisch in einer weißen Porzellanvase. Daneben ein Buch verkehrt herum aufgeschlagen. Eine halbvolle Wasserflasche, eine Jacke über der weißen Stuhllehne. Im nächsten Moment rauschte die Toilettenspülung im Bad. Ungläubiges Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als gleich darauf die Tür leise aufging.
    Matty trat an sein Bett. Er sah blass aus, übernächtigt, völlig fertig. Als hätte er die ganze Zeit, wie lange sie auch gewesen sein mochte, an seinem Bett gesessen und über seinen Schlaf gewacht. Doch als ihre Blicke sich trafen, legte sich ein breites Lächeln auf das müde Gesicht.
    „Hey, mein Recke, alles klar?“
    Paul blinzelte.
    „Matty ... schön, dich zu sehen.“
    Mit einem Mal war alles wieder da: ihre gemeinsame Reise ans Ende der Welt, ihre Liebesnacht am Meer, der Kampf gegen den Drachen, ihre überstürzte Rückkehr und die roten Bremslichter des Busses. Hier riss der Faden ab. Oder nein ... - nein, da war doch noch etwas gewesen. Er wusste, dass er einen Anfall gehabt hatte, aber irgendwie war der nicht so gewesen wie sonst. Da war ...
    „Matty, ich hab’ dich gehört“, flüsterte Paul und streckte die Hand aus, die Matty sanft ergriff, während er sich auf den Bettrand niederließ.
    „Was meinst du damit?“
    Paul schluckte trocken. „Ich hab deine Stimme gehört. In der Stille, als ich ... den Anfall hatte. Du warst irgendwie ... da. Du hast ... gälisch gesprochen. Und ... ich glaube ... deutsch. Habe ich das geträumt?“
    Seine blauen Augen blickten in der ihnen eigenen Unschuld fragend zu dem anderen auf.
    Matty lächelte entschuldigend.
     „Ich glaube, ich hab’ ziemlichen Unsinn geredet, aber ja, ich habe mit dir gesprochen, bis der Arzt kam. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Es war so schlimm, und ... ich wusste nichts von dem Notfallmedikament ... Ich weiß so wenig von dir, Paul.“
    Eine tiefe Traurigkeit legte sich auf Pauls eben noch leuchtende Züge. „Aber jetzt ist es zu spät, uns kennenzulernen. Du hast deine Reise beendet, dein Flug geht morgen. Oder heute? Jedenfalls ... ich kann dich nicht begleiten.“
    Matty drückte zärtlich seine Hand.
    „Es war nicht der letzte Flieger nach Deutschland. Aber du hast recht, meine Reise ist beendet. Ich habe Marc gestern Nacht an der Steilküste gefunden - und ihn dort zurückgelassen, am Ende der Welt.“
    Er räusperte sich, sah das schmerzvolle Lächeln unter den roten Locken. Mit festerer Stimme fuhr er fort: „Aber ich habe dort noch jemand anderen gefunden, und den möchte ich gerne in mein neues Leben mitnehmen: dich. Wenn du es auch möchtest.“ Erwartungsvoll hielt Matty den Atem an.
    Paul zeigte keine Reaktion. Lächelte nicht. Nickte nicht. Schaute nur, wie er damals im Pub geschaut hatte, als Matty sich ihm das erste Mal offenbart hatte. Nach einer kleinen Ewigkeit fragte er leise: „Warum, Matty?“
    Erstaunt zuckte Matty zurück. „Weißt du das nicht?“
    Paul schüttelte kurz den Kopf. „Sag es mir, Matty. Sag es mir ins Gesicht. I need to hear it. Right now.“
    Matty holte tief Luft. Natürlich war ihm klar, was Paul meinte. Die entscheidenden Worte fehlten noch, die letzte Klippe, die er umschiffen musste, um endlich in den Hafen einlaufen zu können. Doch das letzte Mal, als er diese Worte gesagt hatte, war er aufgelaufen, untergegangen, fast ertrunken.
    Er zögerte.
    Und dann sprang er. „Weil ich dich liebe, Paul. Ich liebe dich und

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