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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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Hilfe zu holen.
    „Rufen Sie bitte einen Arzt, schnell. Es ist ein epileptischer Anfall.“
    In meiner Panik hatte ich deutsch gesprochen; die englischen Wörter für „epileptischer Anfall“ wären mir sowieso nie im Leben eingefallen. Deshalb hatte ich erwartet, dass sie wie paralysiert stehen bleiben und schlimmstenfalls anfangen würde zu schreien. Verdammt, wieso musste es ausgerechnet eine Bürotussi sein, die angehalten hatte?! Ein Mann - meinetwegen auch ein Hetero - wäre mir in dieser Situation entschieden lieber gewesen.
    Tatsächlich machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte fluchtartig davon, um jedoch wenige Sekunden später zu meiner unendlichen Erleichterung mit einem Handy zurückzukommen. Mit erstaunlich ruhiger Hand wählte sie den Notruf, gab klar und präzise unsere Situation und Position durch. Sie war Irin, und irgendwie wusste sie genau, was sie über Pauls Zustand sagen musste. Ich fragte nicht, woher sie das alles wusste, aber ich war ihr unendlich dankbar, dass sie bei mir und uns blieb, bis die angeforderte Hilfe eintraf, dass sie nichts Unnötiges sagte oder fragte, sondern einfach nur auf uns Acht gab.
    Als der Rettungswagen endlich kam, war Paul schon längst wieder ruhig. Wir hatten ihn in die silber-goldene Rettungsdecke aus ihrem Wagen gewickelt, mit dem Mineralwasser aus ihrer Handtasche seinen Schweiß abgewischt, und endlich auch die Pannenstelle mit dem Warndreieck abgesichert.
    Der Arzt fragte mich nach Pauls Tabletten und ob ich ihm sein Notfallmedikament verabreicht hätte, das er als Epileptiker eigentlich ständig bei sich tragen sollte. Ich wusste gar nicht, dass er so etwas hatte, geschweige denn, wie ich es ihm hätte verabreichen sollen - ich wusste so wenig über diesen Mann, kam mir furchtbar klein und unbeholfen vor. Die Tabletten fand ich schließlich in Pauls Jackentasche, zusammen mit einem kleinen Fläschchen.
    „Here it is“, meinte der Doc mit einem Seitenblick auf meine zitternde Hand. „Sie hätten ihm ein paar Tropfen in die Wange geben können. Aber nun ist es ja vorbei, jetzt brauchen wir es auch nicht mehr.“
    Ich hätte heulen können.
    Schließlich wurde Paul auf einer Trage in den Krankenwagen geschoben. Mein nervöser Blick folgte ihm hinein zwischen all die Schläuche, Apparate mit Knöpfchen und Lämpchen, Plexiglaskistchen voller Spritzen und Mullbinden. Pauls plötzlich so schmächtig wirkender Körper war mit roten Riemen auf der weißen Pritsche festgezurrt, in seinem Handrücken stak eine Nadel, weil der Arzt ihm eine Infusion gelegt hatte. Der maß noch einmal Puls und Blutdruck, das Messgerät summte leise, während er mich für einen Moment stumm musterte. Wahrscheinlich überlegte er, ob er mich nicht besser ebenfalls an einen dieser Plastikschläuche anschließen und mitnehmen sollte, bevor ich ihm hier vor dem Wagen auch noch umkippte.
    Schließlich rollte er das Stethoskop wieder ein. „Er ist stabil. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie haben das gut gemacht. Kommen Sie mit zum Krankenhaus?“
    Ich nickte und deutete auf den Wagen am Straßenrand. „Ich fahre Ihnen hinterher.“
    „In Ordnung. Ach und noch etwas, ehm, nur fürs Protokoll: Sind Sie ein Familienangehöriger oder Freund?“
    Ich blickte irritiert auf. Der Doc war älter als ich, vielleicht Mitte vierzig, hatte kurzrasiertes Haar, einen klaren, offenen Blick, entschlossene Züge. An seiner rechten Hand glänzte ein goldener Ring. Ein Mann, der wusste, wo er stand, was er tat, und der die Dinge beim Namen nannte.
    Ich versuchte es jetzt ebenfalls. „No, I am his ... friend, his mate.“
    Der Doc hob eine Augenbraue, ein wissendes Lächeln zuckte um seine Lippen. „Pardon?“
    Ich holte tief Luft und sah ihm fest in seine aschgrauen Augen. „I am his boyfriend.“
    Das Lächeln wurde breiter, und er kritzelte etwas auf das Einsatzprotokoll, klappte dann den Hefter zu und resümierte: „That’s like family.“
       
     
       
     
    Dublin, Beaumont Hospital, 16. September 2007, später Vormittag
       
     
    Wieder einmal kehrte er zurück aus den schier undurchdringlichen Nebeln, die ihn in den letzten Stunden erbarmungslos festgehalten hatten, versuchte mit großer Mühe zu lokalisieren, wo er sich befand. Sein Kopf lag auf einem Kissen, das nicht sein eigenes war, und die Bettbezüge raschelten lauter als die in seinem eigenen Bett, fühlten sich steif und steril an. Das alles kannte er zur Genüge, genauso wie den heftigen Kopfschmerz, der ihn durchzuckte,

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