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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elio Vittorini
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uns nach unserem Großvater herumfahren.
    »Er hat recht«, sagt meine Mutter.
    Wir sehen, daß der Bart ihm zittert, während seine Faust sich zurückzieht, – die zwar nicht zittert, aber rot ist. Rußgesicht betrachtet sie mit messendem Blick. »Du mit deinen Albernheiten«, sagt meine Mutter. Und zwar zu dem Gatten. »So vergessen wir, daß unser Alter noch zu viel Geduld hat.« Und zu allen, auch zu Rußgesicht: »Machen wir uns an die Suppe.« Großvater hat eine Suppenschüssel vor sich. Meine Mutter nimmt sie und lädt ihm Zichorie auf, mit einer großen Holzgabel. Schüttet die Brühe ab und tut noch einige Gabeln dazu, schüttet von neuem die Brühe ab und tut von neuem einige Gabeln dazu. Als die Zichorie sich endlich zum Berge häuf, stellt sie die Schüssel wieder dem Großvater hin. »Na?« sagt sie zu ihm.
    Der Großvater beäugt das dampfende Grünzeug. Wenn es ihm recht ist, macht er sich gleich drüber her, wobei er nur seine Hand, die majestätische, zwischen Mund und Speise bewegt. Andernfalls erhebt er das Gesicht in Richtung meiner Mutter. Jetzt gerade erhebt er es.
    »Wie?« sagt meine Mutter. »Es ist dir wohl nicht genug?«
    Doch Großvater meint etwas anderes. Deutet mit dem Finger auf den Teller Rußgesichts, unseres Gastes.
    »Er macht sich Gedanken um Euch«, sagt meine Mutter.
    »Und ich bin ihm dankbar«, sagt Rußgesicht. »Ich bin ihm dankbar.«
    »Wollt Ihr denn etwas?« sagt meine Mutter. »Wir bringen es nicht mehr herunter. Ein paar Monate haben wir es fertiggebracht. Dann haben wir’s aufstecken müssen. Auch darin muß man ein Mensch sein wie er, täglich Zichorie essen – ohne öl, und es nie müde werden …«
    Hier will sie zum Schluß noch sagen: »Wie ein Elefant.« Ich sehe es ihrem Munde an. Aber Rußgesicht unterbricht sie vorher:
    »Im kleinen bin auch ich ein solcher Mensch«, sagt er.
    »Könnt auch Ihr«, sagt meine Mutter zu ihm, »täglich all die Zichorie ohne Öl essen, die er ißt?« »Ich meine, im kleinen«, sagt Rußgesicht. »Ich meine, daß auch ich ein solcher Mensch bin, im kleinen. Auch ich«, sagt er lachend, »ich esse meine Zichorie täglich. Und ich möchte fast meinen, daß auch ihr alle täglich die eure eßt.«
    »Wir keineswegs«, sagt meine Mutter. »Ein paar Monate haben wir es fertiggebracht, und wir haben es aufstecken müssen. Jetzt nehmen wir nur eine Kelle voll Brühe auf den Teller …«
    »Um unsere Kleinen zur Verzweiflung zu bringen«, der Mann meiner Mutter.
    »Um sie in der Übung zu halten, wie man Suppe ißt«, sagt meine Mutter.
    »Und was ist das?« sagt Rußgesicht. »Ist das nicht
Zichorie täglich?«
»Mag sein«, sagt meine Mutter.
    Sie denkt darüber nach und setzt hinzu: »Freilich sage ich nicht, daß es keine sei …« Zugleich aber denkt sie an das Weitere, weshalb sie zum Schluß gewöhnlich sagt: unser Großvater war oder ist ein Elefant, »wie ein Elefant«. Ich sehe es daran, wie ihr, beim Gedanken an »alles Weitere«, schon die Lippen zu zucken beginnen. Auch bemerke ich, daß sie’s noch nicht einmal gesagt hat, seit der Besucher mit dem Rußgesicht im Haus ist. Und da unterbricht nun das Rußgesicht wieder den Lauf ihrer Gedanken. »Ebenso habe ich«, sagt Rußgesicht, »seit vierzig Jahren meine Zichorie – im kleinen.« »Seit vierzig Jahren?« sagt meine Mutter.
    »Seitdem ich arbeite«, sagt Rußgesicht. »Ich habe eine Sardelle«, sagt er lachend. »Früher mit Öl und in den letzten Jahren ohne Öl, – genau wie der Herr hier sein Gemüse.«
    »Sollte die Sardelle«, sagt meine Mutter, »Eure Zichorie sein?«
    »Ich habe sie täglich zu Mittag«, sagt Rußgesicht. »Ja, eine Sardelle!« ruf meine Mutter aus. »Wahrhafigen Gotts! Eine Sardelle ist eine Sardelle!« »Eine Sardelle ist doch etwas anderes als Zichorie!« ruf auch der Mann meiner Mutter aus. »Aber seien wir genauer«, verlangt er. »Meint Ihr damit eine gesalzene Sardelle?«
    »Ja«, antwortet Rußgesicht. »Gesalzen.«
    Er antwortet sehr leise. Ist eingeschüchtert. »Na und?« ruf meine Mutter aus. »Er behauptete, vom Schlage des Großvaters zu sein, und kann täglich gesalzene Sardellen essen!« Den Blick auf Rußgesicht gehefet, setzt sie hinzu: »Dazu gehört Mut!« »Eigentlich ja«, sagt der Mann meiner Mutter. »Ihr müßt zugeben, daß ein gewisser Mut dazu gehört.« Unterdessen kreist am Tisch die Parole: »Sardelle! Sardelle!«
    Und Rußgesicht zieht den Kopf ein. »Eigentlich«, sagt er lachend. »Im kleinen. Ich muß

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