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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elio Vittorini
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Gesicht erhoben, ißt nicht und bewegt die Nasenflügel so, als ob er suchte. Gott im Himmel, er schnuppert!
    Aber nicht sehr lange verspürt er, was die Gedanken ihm lenkt auf Fässer und Salz, Schiffsladeräume, Speicher am Meere, auf das Meer selbst und auf Reisen. Es waren Reisen zu Fuß oder mit der Eisenbahn, die er seinerzeit machte. Er denkt an die Gerüche seiner Reisen, die Gerüche der Leute, mit denen er gereist ist, und sieht Rußgesicht an, der neben ihm sitzt; sieht ihn an, gibt sich zufrieden, und ruhig macht er sich wieder an seine Suppenschüssel. Gleichermaßen beruhigt sich auch der Mann meiner Mutter in seiner Erregtheit und zugleich in der Angst, die ihn befallen hatte, als er den Großvater schnuppern sah. Jetzt ist er es, der schnuppert. Er tut es geräuschvoll, will, daß es deutlich zu bemerken sei, aber es ist deutlich zu bemerken, daß er nichts verspürt. Herrgott! Warum wohl der Alte aber? Er müßte so viel mehr verspüren, – er, der soviel jünger ist.
    Er gibt es auf und hebt sich ein wenig vom Sitz, stemmt auf den Tisch die Ellbogen. Sein Interesse zielt auf die verblaßten Schrifzeichen des Aufgabenblattes, darein die Sardelle gewickelt ist. »Wie?« murmelt er. »Was?« Er dreht das Haupt, versucht von rechts, versucht von links, will durchaus lesen und verrenkt sich fast seinen Hals.
    »Schlimmer als ein Kind«, sagt meine Mutter. Der Mann meiner Mutter setzt sich wieder hin. »Ich wollte nur sehen, was da geschrieben steht.« »Wollt Ihr sehen, was da geschrieben steht?« fragt ihn Rußgesicht.
    Er reichte ihm das dünne Päckchen, und der Mann meiner Mutter hat es endlich vor sich. Aber zunächst einmal liest er nicht. Er beschnuppert es von vorn bis hinten, aus allernächster Nähe.
    »Nun?« fragen wir ihn.
    Wir wollen alle wissen, was da geschrieben steht. »Es ist ein Wort, das sich wiederholt«, antwortet der Mann meiner Mutter. »Was für ein Wort denn?« fragen wir.
    »Ich weiß nicht«, antwortet der Mann meiner Mutter. »Es ist nicht herauszukriegen.«
    Inzwischen betastet er, und ganz plötzlich packt er zu. »Aufmachen, aufmachen«, sagt Rußgesicht zu ihm. In der Tat hat er uns sein Päckchen mit Inhalt bereits geschenkt. Man merkt es irgendwie an seinem zufriedenen Blick. Nur weiß er halt nicht, wie er uns beibringen soll, daß wir es als unser Eigentum betrachten.
    »Nicht doch«, antwortet der Mann meiner Mutter. »Warum das aufmachen?«
    Er reicht das winzige Päckchen mir, und alle reichen wir es uns herum.
    »Her damit«, ruf meine Mutter.
    »Und ist die Sardelle darin?« fragt sie Rußgesicht. Sie faltet das Blättchen alten Hefpapieres auseinander, und die Sardelle ist darin. Alle stehen wir auf, um zu gucken. »Seht Ihr?« sagt meine Mutter zu Rußgesicht. Sie zeigt dabei auf uns. »Wir hier sind große Schlecker«, sagt sie zu ihm, »und ich weiß nicht, was sie nicht alles für eine Sardelle hergeben würden.« Sie will ihm zu verstehen geben, daß uns eine Sardelle sogar lieber wäre als Schweinekoteletten. »Wenn Ihr sie heute nicht eßt«, sagt sie zu ihm, »wollen wir sie ihnen zum Schmaus überlassen?« Rußgesicht macht strahlende Augen. Mochte auch die von morgen in der Tasche haben, um sie uns gleichfalls zu schenken. Alsdann fragt er, ob nicht ein bißchen Zichorie übriggeblieben sei. »Ach!« sagt er zu uns. »Ich weiß nicht, was ich nicht alles hergeben würde für einen Teller Zichorie!«

    4

    Während die Sardelle, noch unversehrt, die Runde um den Tisch macht und ein jeder von uns aufs eigene Stückchen Brot nur eine Kostprobe Duf und Salz davon abbekommen hat, erhebt unser Großvater zum zweiten Male dräuend sein hochbetagtes Haupt.
    Gewiß ist er groß und stark, meine Mutter sagt es immer, und wir sehen es, sehen es immer, aber wir denken, das komme von seinen Jahren. Wieviel Jahre zählte er? Das fragen wir uns nicht. Die halten wir für unzählbar, wenn wir seine riesigen Hände betrachten. Wissen nur, daß er in der Zeit vor dem vorigen Kriege gearbeitet hat, vor unserer Geburt und im vorigen Jahrhundert, ehe unsere Mutter zur Welt kam. Also erhebt sich mit seinem Haupte sogar das vorige Jahrhundert, und da sind für uns seine Augen, so sanf sie blicken, – Augen von Berühmtheiten, die man von der Schule her kennt, – von Mazzini, von Garibaldi und außerdem von ihm selber. Deshalb verharren wir nun in Betrachtung. Könnten wir dem vorigen Jahrhundert die schuldige Achtung versagen?
    Das große bärtige Gesicht ist wieder

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