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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elio Vittorini
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ganz emporgerichtet, und wieder sucht er, ohne eigentlich Umschau zu halten. Er zuckt nämlich mit keiner Wimper. Bewegt wieder nur die Nasenflügel. Aber mit welcher Hefigkeit! Seinen Geruchssinn erreicht die Flutwelle fernster Meere, und Dampfer, deren Flagge von langer Überfahrt kündet, lassen wieder ihren Laderäumen den Salzgeruch von Reisen und aber Reisen entströmen, und sie füllen Häfen, sie füllen Läden, sie füllen die Straßen unsrer Stadt aufs neue und die Stapelplätze aller Seestationen der Welt: ein Geruch wie von Welt und Weite auf jedem Stapelplatz der Welt.
    Rußgesicht betrachtet den Großvater mit sprachloser Verwunderung. Wie wandelt sich wohl ein Geruch, den einer über die Strecke so vieler Jahre wittert? Wieder betrachtet sich Großvater den mit dem Rußgesicht, – wie er schon vorher getan. Aber diesmal beugt er sich lange zu ihm herab, er spürt ihn – fast am Haar, und von neuem schnuppert er herum, bewegt dabei die Nasenflügel, wendet erregt das Gesicht ab und kann sich nicht beruhigen. Dann beugt er sich auch über den auf der anderen Seite. Das ist der Mann meiner Mutter, und der weicht nach und nach zurück, als Großvaters Antlitz auf ihn zukommt. Schnellt vielmehr im gewissen Augenblick hoch. Er räumt seinen Platz und entfernt sich einen Schritt.
    Unser Großvater erhebt sich seinerseits.
    Er wird doch nicht hinter ihm her wollen? Sehr gemächlich stützt er zuvor die Hände auf den Tisch, und er stemmt sich darauf, erhebt sich; zwischen Stuhl und Tisch setzt er sich dann in Bewegung. »Wo willst du denn hingehen?« schreit meine Mutter ihn an. »Papa?« schreit sie ihn an. »Du bist doch noch nicht mit deiner Zichorie fertig.«
    Rußgesicht guckt entsetzt und ist Großvater behilflich, sich wieder hinzusetzen. Denn das tut er ja, der Großvater: kaum hatte meine Mutter losgelegt, – nimmt er seinen Sitz wieder ein. Mit einem Rumoren jedoch, das ihm aus dem ganzen Riesenschädel dringt.
    Steinschlag in den Höhlen seines Riesenschädels? »Er brummelt«, sagt meine Mutter. Sie nimmt die Sardelle mitsamt dem Teller, auf dem sie gelandet war, und hält sie dem Großvater hin. »Ist die es gewesen«, fragt sie ihn, »was du gerochen hast?« Großvater schaut nicht einmal hin. Er brummelt, aber sein Antlitz ist sanf, und sein Haupt senkt sich wieder.
    »Es ist eine Sardelle, die ich ihnen angeboten habe«, sagt Rußgesicht zu ihm.
    Die Bogen der Brauen entspannen sich und weiten sich aus in Großvaters Antlitz, das sich wieder senkt. Verwunderung liegt darin ob des Gehörten; für einen Augenblick. Dann eine größere Sanfheit, – als ginge ihn nunmehr Hören und derlei nichts mehr an.
    Allerdings hat es etwas gegeben, das ihn anging. Was war es denn? Er weiß es nicht; auch hat er aufgehört zu brummeln. Vielleicht war es das Ding da, von dem man ihm spricht. Vielleicht war’s das in Wirklichkeit nicht. Oder er mochte geglaubt haben, das sei es, – und nachher war es das nicht gewesen … War es wohl nur Essen gewesen? Die Sanfheit in seinem gebeugten Antlitz wird zur Traurigkeit. Ebensogut kann er seine Zichorie essen.

    5

    Den Teller mit der Sardelle hat meine Mutter trotzdem in Reichweite seiner Hand, hinter die Suppenschüssel mit der Zichorie gestellt, und schon denkt keiner mehr daran, etwas davon abbekommen zu können.
    Gute Nacht, Sardelle! – dieser Gedanke herrscht an unserem Tisch, ist bitter bei unseren leeren Tellern, wenn auch Rußgesicht ihn zu würdigen weiß und uns dabei auf seine Weise anblickt, – ein Lächeln des Frohlockens in seinen weißen Augen.
    Wir sind wieder so weit wie alle Tage: bei unserem Stück Brot, ein halbes Laibchen je Kopf, auch Huhn zugleich, das es mit Messer und Gabel zu zerlegen gilt. Ist es gebraten? Vielleicht ist’s sogar gebraten, und vielleicht sind noch Röstkartoffeln dabei, am Ende gar eingelegte Pilze. Der Mann meiner Mutter ist schon allzu bedrückt, um aus Mutwillen danach zu fragen. So setzen wir mit den Gabeln an, und auf die Gabeln fahren wir mit den Messern los, kratzen dabei auf den Tellern herum, – ohne genau zu wissen, was wir zu essen vortäuschen. Mit knapper Not legen wir in allgemeinen Worten unseren Kleinen leise ans Herz: »Es ist Huhn, denkt daran.« Nur Rußgesicht bleibt lebhaf: er beobachtet uns aufmerksam, um von uns zu lernen, wie er sich zu benehmen habe. »Flügel«, sagt er. »Flügel habt ihr mir gegeben, was? Gerade den Flügel wollte ich haben.« Er schwatzt, er lacht, die Bestecke

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