Im Schatten des Elefanten
»An welchem Ihm?« »Ei, an ihm, Eurem Freunde«, donnert ihn meine Mutter an. »An dem Herrn hier?« fragt Rußgesicht.
»An dem Elefanten da«, donnert ihn meine Mutter an.
6
So nun ist meine Mutter auf den Elefanten zu sprechen gekommen – mit unserem Gast, der ein Rußgesicht hat.
Der ist ein Männlein, das mit dem Schlepper einen Monat lang die Ebene durchquert und aus seinem schwarzen Gesicht dem Großvater zugezwinkert hat; nun ist er zu uns hereingekommen als Großvaters Freund; sitzt mit uns zu Tisch als Großvaters Freund; trotzdem ist meine Mutter mit ihm auf den Elefanten zu sprechen gekommen – in einer Weise, die für den Großvater herabwürdigend ist. »Elefant?« murmelt Rußgesicht. »Habt Ihr Elefant gesagt?«
»Ist er nicht wie ein Elefant? Schaut ihn an! Schaut ihn an!« sagt meine Mutter zu Rußgesicht. »Ihr könnt selber sehen, daß er wie ein Elefant ist!« Rußgesicht hat nicht erst gewartet, daß meine Mutter ihn hinschauen heißt. Er ist schon dabei, den Großvater zu betrachten, und Großvater hat den Oberkörper auf gerichtet und das Haupt zu ihm herüber gewendet, um sich von ihm betrachten zu lassen. »Herrgott!« murmelt Rußgesicht. »Ich habe mir die Frage vorgelegt, wie dieser Mann einem vorkommt. Habe ihm zugezwinkert und mir diese Frage vorgelegt. Habe Freundschaf mit ihm geschlossen und mir diese Frage vorgelegt. So und nicht anders kommt er mir vor!«
Mit begeistertem Lächeln blickt er drein. »Ganz so kam er mir vor!« sagt er. »Es fiel mir zwar nicht ein, aber er kam mir so vor.« Er ruf aus: »Fürwahr, so ist’s genau! Ihr habt es getroffen.«
»Allerdings habe ich es getroffen!« antwortete ihm meine Mutter. »Dazu gehört auch nicht viel. Ich, die ich mein Lebtag für ihn gekocht und für ihn gewaschen und gebügelt habe …«
Hier ist Rußgesicht mit einem Male verwirrt. »Es soll ja von mir kein Tadel sein. Entschuldigt! Gewiß ist es so, wie Ihr sagt; doch ich meine es anders, als Ihr es meint. Ich möchte den Herrn hier nicht etwa verletzen.«
Meine Mutter fällt ihm ins Wort. »Kommt es Euch nicht mehr so vor, als hätte ich es getroffen?« »Ich meine es anders, als wenn ich etwa zu einem sagen wollte, daß er eine Elefantennase oder Elefantenohren hat. Ich meine nur, daß er einer ist.« »Und das ist es, was auch ich meine«, sagt meine Mutter zu ihm.
»Natürlich«, murmelt Rußgesicht. Er ist noch immer verwirrt. Sein Lächeln jedoch, aufs höchste gesteigert, ist voller Begeisterung, und es spiegelt sich darin ein Geheimnis um Mensch und Menschen, dessen große Bedeutung er jetzt gerade erkannt hat. »Natürlich«, murmelt er.
Er ist verwirrt und möchte zwischen sich und den anderen die Möglichkeiten des Mißverstehens beseitigen, die seine Verwirrung andauern lassen. Er ist begeistert und möchte meiner Mutter und den anderen klarmachen, was ihn nun in Begeisterung versetzt. »Der Elefant«, sagt er, »ist doch das edelste unter den Tieren.«
»Ich weiß wohl, daß er ein edles Tier ist«, sagt meine Mutter.
»Ihr sagt das auch, – seht Ihr?« sagt er. »Alle seine Eigenschafen sind edel, und alle Eigenschafen, die man edel nennt, sind es in Wahrheit nur dann, wenn einer sie so besitzt wie er. Nehmt die Kraf, zum Beispiel …«
Hier merkt er, daß er eine Rede begonnen hat, die lang sein kann. Hält einen Augenblick inne; fragt sich in seiner Verwirrung gar, ob er sich das erlauben dürfe; er ist aber auch begeistert, und damit fährt er weiter. »Was ist Kraf, wenn sie nicht ist wie die seine? Wenn sie großmütig ist und friedlich wie die seine, – dann ist sie edel. Doch wenn sie nicht ist wie die seine, – ist sie durchaus nicht edel. So auch die Sanfmut. Sie ist eine edle Eigenschaf, wenn sie so ist wie die seine. Und die Demut ebenso. Die Geduld desgleichen. Edel sind sie – aber nur, wenn man sie so besitzt wie er.«
Er sieht nun, daß wir ihm zuhören. Auch unsere Kleinen hören ihm zu – aus jener Neugierde, die sie für alles hegen, was mit Elefant zusammenhängt, – jenem erhabenen Tier, das uns, das ihnen von meiner Mutter immer gezeigt wird, als wäre es – ein Berg oder ähnliches – sichtbar von unseren Fenstern aus und unverrückbar da draußen, – während es sich doch hier um Eigenschafen handelt, die gleichsam vergraben liegen im Innern des Menschen. Hier? Um das, was uns ein Unbekannter erzählt. Wir aber geben uns nicht mit der eigenen Erfahrung in Fragen der Welt und des Menschen zufrieden. Sind
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