Im Schatten des Elefanten
fahren ihm gicksend auf dem Teller aus, und von uns geht kein Schwein auf seine Unterhaltung ein.
Jetzt, da die Sardelle dort vor dem Großvater Hegt, teilt selbst meine Mutter unser aller Bitterkeit. So macht sie’s immer, nachdem sie Großvaters Interessen gegen uns durchgefochten hat. Sieht ihr »blondes Mannsbild« an, und ihre Blicke sind dann nicht stolz, – voll Mitleid gleichsam schweifen sie zu ihm hin – aus dem Gesicht, das auf die Hand sich stützt. Auch hat sie sich diesmal gar nicht herumgestritten. Hat uns nicht streitig machen müssen, was sie dem Großvater gab. Ach Mutter, die Grausamkeit, die du empfunden hast, ist dir kein Trost. Nicht hat sie uns brüllend zurückhalten und – mit einer Rede über Dinge, die er vollbringen konnte – Großvater als den zeigen müssen, der er ist. Sie hat uns um seinetwillen beraubt, ohne sich erst wieder als Tochter zu fühlen – des Mannes wie ein Elefant, der er war.
Bis zu diesem Augenblick hat sie unserem Gast noch nicht gesagt, daß Großvater ein Elefant ist. Und jetzt ist der Moment vorbei, in dem sie es ihm hätte sagen können. Jetzt liebt meine Mutter den Großvater nicht, sie liebt eher uns und unsere Kleinen, betrachtet voll Mitleid ihr »blondes Mannsbild«, und wenn sie den Großvater überhaupt noch ansieht, – dann nur, um in einem Zornesblitz das Übermaß des Grames auf ihn zu schleudern, der sie mit Bitterkeit erfüllt.
»Ihr müßt uns entschuldigen«, sagt sie plötzlich.
Wendet sich an den Unbekannten, der bei uns sitzt, sucht – über gebeugte Köpfe hinweg – sein rußbedecktes Gesicht, und sie gibt ihm einen Wink, er solle sich vorneigen, solle aufmerken.» Unsere Lage«, sagt sie zu ihm, »ist nicht ganz so, wie Ihr sie seht.« Aber Rußgesicht begreif nicht; ahnt nicht, was meine Mutter so unvermittelt ihm sagen will.
»Seht mich doch nicht so an, als fielet Ihr aus den Wolken«, fährt meine Mutter fort. »Unsere Lage ist besser, als Ihr sie seht.« Sie ruf alle als Zeugen an. »Ist sie nicht besser, als es den Anschein hat?« Aber nur Rußgesicht selber stimmt zu – mit einem Schimmer seines Lächelns in den Augen, das von neuem sich einstellt.
»Mein Sohn Euklid schaf, und er ist ein Scharfer«, sagt meine Mutter. »Und wenn wir auch so viele sind, – von der Arbeit eines Mannes können wir leben. Wir könnten mehr haben auf unserem Tisch.« Sie ruf Anna als Zeugin an, ruf Elvira, ruf meine Schwester. »Ist’s nicht so? Die hier sagen immer, wir könnten sogar hin und wieder Fleisch haben. Und bestimmt könnten wir Sardellen haben. Das eine oder andere Gericht könnten wir hin und wieder haben, wenigstens einmal sonntags. Fragt sie, ob ich mich da irre.«
Bei Rußgesicht breitet der Schimmer des Lächelns mittlerweile sich aus; es wird so, wie es bei ihm die Regel ist. Wohl könnte er meiner Mutter antworten, sie irre sich nicht.
»Ja, wißt Ihr, was mein Mann sagt?« fährt meine Mutter fort. »Sag du es ihm selbst«, sagt sie zu ihrem Gatten. »Er sagt«, fährt sie fort, »wir könnten uns auch hin und wieder einen Schluck Wein genehmigen.« Sie ruf den Gatten als Zeugen an. »Nicht wahr, das sagst du doch?« Hierauf sagt sie zu Rußgesicht, der ihr zulächelt: »Dies sind unsere wirklichen Verhältnisse – und nicht das, was Ihr seht. Und wenn wir sie nicht so haben können, wie sie sind, – dann aus dem Grund, den Anna stets anführt. Fragt Anna danach.«
Rußgesicht steigert sein Lächeln. Wird er fragen? Fragt er nicht?
»Los«, drängt meine Mutter. »Anna ist die hier. Fragt sie danach.«
»Warum?« fragt Rußgesicht. Sein Lächeln hat einen Höhepunkt erreicht. Und keiner kann sagen, ob er eigentlich Anna gefragt oder Anna nicht gefragt hat. Auch gibt Anna keine Antwort.
Meine Mutter gibt sie sich selber: »Es liegt am Brot. Und zwar daran, daß wir zu viel Brot kaufen, – der ganze Verdienst meines Sohnes Euklid wird für Brot ausgegeben. Und warum das?« schreit meine Mutter.
»Warum müssen wir alles für Brot ausgeben?« »Ei darum«, antwortet ihr Rußgesicht, und er lacht. »Nix darum!« schreit meine Mutter ihn an. Dann dämpf sie rasch ihre Stimme: »Es liegt an ihm! Es liegt nur an ihm! Es liegt an ihm, der anderthalb Kilo davon ißt – und zehn Kilo essen würde! Es liegt an ihm, – ihm, der alles beansprucht! …« »An ihm?« ruf Rußgesicht aus. Er blickt in die Gesichter, denen er sich gegenüber befindet, – mit Verwunderung, die seinem Lächeln anhafet; dann fragt er schlankweg:
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